EU-Kommission

Von der Leyen will Kurzarbeit europaweit zur Norm machen

Kommissionspräsident Ursula von der Leyen
Kommissionspräsident Ursula von der LeyenREUTERS
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Die Brüsseler Behörde soll im Namen der Unionsmitglieder 100 Milliarden Euro auf den Finanzmärkten für Hilfskredite an die von der Corona-Epidemie besonders stark betroffenen Staaten sammeln.

Brüssel. Sind 100 Milliarden Euro genug, um das massenhafte Zusperren gesunder Unternehmen und die Kündigung ihrer Mitarbeiter zu verhindern? Diese Hoffnung trägt einen neuen Vorschlag der Europäischen Kommission, der am Donnerstag beschlossen wird, dessen Aspekte jedoch seit ein paar Tagen an die Medien durchgereicht werden. „Sure“ nennt sich der Plan, nach dem englischen Wort für „sicher“. Er sieht laut einem Entwurf, welchen die Kommissionsspitze an die „Financial Times“ gespielt hat, Folgendes vor. Wenn die Mitgliedstaaten gemeinsam Garantien von 25 Milliarden Euro aufstellen, soll die Kommission an den Finanzmärkten maximal 100 Milliarden Euro aufnehmen.

Dieses Geld soll dann an in Form von Krediten jene Mitgliedstaaten zurückfließen, die entweder noch keine gesetzliche Kurzarbeit vorsehen, oder deren bestehendes Kurzabeitssystem sie in Zahlungsnöte bringt, weil so viele Arbeitnehmer wegen der Coronakrise vorübergehend nichts zu tun haben. Die drei größten Empfänger dieses Systems sollen gemeinsam höchstens 60 Milliarden Euro beziehen können. So soll verhindert werden, dass Italien und Spanien, die beiden am stärksten von der Pandemie betroffenen Mitgliedstaaten, fast alles erhalten.

Italien und Spanien Hauptnutznießer

Kommissionspräsident Ursula von der Leyen wandte sich am Mittwoch in einer vage gehaltenen Videobotschaft an die Europäer, um ihren Plan anzukündigen: „Das ist ,Sure‘: staatlich unterstützte Kurzarbeit“, erklärte sie. „Wir haben die Lehren aus der Finanzkrise von 2008 gezogen. Mitgliedstaaten, die dieses Instrument hatten, halfen Millionen von Menschen, ihre Arbeitsplätze zu behalten, und Unternehmen, die Finanzkrise gemeinsam mit ihren Arbeitnehmern zu durchstehen.“ Sie nannte Spanien und Italien zweimal ausdrücklich als Hauptnutznießer dieses Programmes.

In einem Interview mit „Politico“ erklärte Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und Soziale Rechte, dass jene Mitgliedstaaten, die derzeit noch keine Kurzarbeit vorsehen, solche einrichten müssten. Das wären Zypern, Tschechien, Estland, Ungarn, Irland, Lettland, Malta und die Slowakei. „Das hätte den Vorteil, unsere sozialpolitischen Antworten in der Krise zu koordinieren“, sagte Schmit.

Eines der größten wirtschaftlichen und sozialen Probleme, welches die Große Rezession vor einem Jahrzehnt in den Mittelmeerstaaten der Union verursachte, war der dauerhafte Verlust von Fachwissen und Arbeitskräften in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Gut ausgebildeten Griechen, Spaniern, Portugiesen und Italienern blieb damals mangels leistungsfähiger beziehungsweise finanzierbarer Kurzarbeit oftmals nur die Auswanderung in die Arbeitsmärkte Mittel- und Nordeuropas. Statt nach dem Ende der unmittelbaren Krise zum konjunkturellen Aufschwung daheim beizutragen, war ihr Know-how dauerhaft emigriert.

Neuer Schlauch, alter Wein

Allerdings ist es unklar, ob der vorliegende Plan geeignet ist, wesentlich größere Beschädigung der Arbeitsmärkte durch die Corona-Pandemie abzufangen. Denn streng genommen handelt es sich hierbei nicht um eine Rückversicherung für kurzfristig und unverschuldet überforderte nationale Arbeitslosigkeitsysteme, wie der Ökonom Gregory Claeys in einer ersten Analyse auf Twitter darlegt. „Leider scheint es, also ob die Kommission eher etwas vorstellen wird, das dem EFSM ähnelt, der 2010 eingeführt wurde, oder dem EISF-Vorschlag von 2018“, kritisiert Claeys.

In dieser Buchstabensuppe schwimmen zwei Kreditprogramme, bei denen das EU-Budget als Sicherheit dient, mit der die Kommission auf den Finanzmärkten Geld für Darlehen an notleidende Mitgliedstaaten vergeben kann. Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) war der Vorgänger des heutigen Euro-Rettungsfonds ESM (der ist allerdings rein zwischenstaatlich, die Kommission hat nichts mitzureden). Die Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion (EISF) wiederum war ein Vorschlag von Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis aus dem Herbst 2018, um bis zu 30 Milliarden Euro Notkredite vergeben zu können. Er scheiterte damit an den nationalen Regierungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2020)

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