Interview

Regierungs­berater: "Diese Daten sind überlebens­notwendig"

(c) REUTERS (CHINA STRINGER NETWORK)
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Der Komplexitätsforscher Peter Klimek ist Teil des Teams, das für die Regierung die mögliche Entwicklung der Corona-Pandemie berechnet. Er möchte mehr Gesundheits- und Telekommunikationsdaten und argumentiert, warum via Social Media Emotionen beobachtet werden.

Die Presse: Wenn man den Simulationsexperten, die für die Regierung rechnen, zuhört, hört man von allen scheinbar etwas anderes: Binnen sieben Tagen war von „es wird schon“ über „wir sind am Weg Richtung Italien“ bis „die Überlastung des Gesundheitssystems Mitte April droht“ alles dabei. Wie kommt das?

Peter Klimek:
Dazu muss man erst  sagen, was diese Modelle können und was sie nicht. Wir können aus uns zur Verfügung stehenden Daten Trends herauslesen und ein paar Tage in die Zukunft fortschreiben. Beim Herauslesen der Trends gibt jedoch eine Schwankungsbreite, über die im öffentlichen Diskurs leider zu wenig geredet wird. Weil die Pandemie ein multiplikativer Prozess ist, multiplizieren sich ja nicht nur die Fälle, sondern auch die Unsicherheiten. Je weiter wir in die Zukunft schauen, desto unsicherer wird es. Wenn wir über die Fünf-Tages-Prognose hinausblicken, ist in unserem Modell sehr viel an Möglichem drin. Wir gehen davon aus, dass es zwei plausible mittelfristige Szenarien gibt. Das eine heißt Containment (Anm.: Eindämmung), d. h. dass wir  die effektive Reproduktionszahl (die tatsächlich gemessene Ausbreitungsgeschwindigkeit, das R eff ), stark genug abdrücken können, sodass wir Zustände wie in Italien verhindern können. Genauso gibt es aber ein Collapse-Szenario, wo die Intensivbetten wie in Italien übergehen.  Stand heute sind beide Szenarien gleich wahrscheinlich  – und das sorgt für diese scheinbar widersprüchlichen Aussagen.

Was ist denn die wichtigste Kennzahl für die Modellbetreiber: die Neuinfektionen, die Todesfälle, die Zahl jener, die gesund werden?

Alle Kennzahlen sind mit anderen Unsicherheiten verbunden. Bei den Neuinfektionen ist das Problem die Dunkelziffer. Die bilden wir zwar ab, aber wir kennen sie nicht. Der Stichproben-Test, über den jetzt berichtet wurde, findet unter anderem deshalb statt, damit wir solche Modelle besser kalibrieren können. Die Spitalsaufenthalte, die Belegung der Intensivbetten und die Todesfälle sind wiederum vergleichsweise härtere Zahlen, allerdings gibt es hier eine Zeitverzögerung. Das heißt diese Zahlen spiegeln uns die Wirksamkeit der Maßnahmen vor ein paar Wochen wider. Eigentlich sind die mathematischen Modelle, die wir verwenden, sehr einfach. Das Schwierige ist, sie mit den realen Daten und mitsamt den Unsicherheiten zu kalibrieren. Wir arbeiten mit bestimmten Annahmen z. B. um wie viel reduzieren sich die Neuinfektionen, wenn sich die Kontaktwahrscheinlichkeit um so und so viel reduziert etc. Das Modell reagiert extrem sensibel darauf, wie man diese Raten einstellt, weil sich die Unsicherheiten eben nicht wie bei Wahlhochrechnungen bloß aufaddieren, sondern multiplizieren.

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