Plattenkritik

Porridge Radio: Diese Songs sind nahe am Wasser gebaut

Porridge Radio: „Every Bad“
Porridge Radio: „Every Bad“(c) Secretly Canadian
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Gibt es noch so etwas wie spannenden Alternative Rock? Selten. Aber diese zu drei Vierteln weibliche Band aus Brighton belebt das alte Genre mit neuer Nervosität. Und taucht manchmal tief.

Die schönste Zeile auf diesem Album lautet: „I go inside the sea sometimes.“ Das muss uns nicht wundern, denn diese Band ist aus Brighton, der südenglischen Stadt, an deren Strand einst The Who im Meisterwerk „Quadrophenia“ (1973) ozeanische Gefühle beschworen. Natürlich, vom Rock-Pathos der alten Who sind Porridge Radio weit weg, sie sind späte Vertreter einer späten Spielart des Rock: des Alternative Rock der Neunzigerjahre, programmatisch kleinlaut, von Selbstzweifeln geplagt, genervt, nervös.

„Circling“ heißt das zitierte Lied, in dem Sängerin Dana Margolin in die See geht. Es beginnt mit Meeresrauschen. Dann hebt, eine Seltenheit im Pop, ein Walzer an, man meint ein Ringelspiel zu sehen, vielleicht mit Plastikpferden am Strand; „I'm doin' well, I'm doin' fine“, singt Margolin: „Nothing is wrong, everything's fine.“ Die Sonne scheint, alles ist gut, und je flehentlicher sie das feststellt, umso mehr schlägt es sich mit der wachsenden Verzweiflung in ihrer Stimme.

Solche Ambivalenzen sind typisch für Porridge Radio: Schon im ersten Song „Born Confused“ – was für ein programmatischer Titel – bedankt sich Margolin zu einem teuflischen Rhythmus zwischen Jig und Marsch fürs Verlassenwerden, es klingt bitter. Oder doch nicht? Der erste Satz geht in eine andere Richtung: „I'm bored to death, let's argue!“ Und dann gleich: „Maybe I was born confused.“ Verwirrung und Langeweile, zwei zentrale Themen von Bands der Nirvana-Generation. Slacker nannte man damals den Jugendlichen, von dessen Orientierungslosigkeit (ein Lieblingswort der Trivialpsychologen jener Zeit) sie erzählten. Er war meist männlich, wie der Großteil der Bands. Porridge Radio sind zu drei Vierteln weiblich, und das macht sie, so aus der Zeit gefallen ihre Musik wirken mag, dann doch interessanter als reine Nineties-Revival-Bands. (Die gibt es natürlich, aber sie kommen über ihre Kleinstädte meist nicht mehr hinaus.)

Und oft sprengen sie die Grenzen dieses Genres, tauchen tiefer. Im genannten „Circling“ etwa. Oder im „Pop Song“, einer von Zweifeln geplagten Hommage an das Zuhause. (Das letzte Stück, der „Homecoming Song“, greift das Thema noch einmal auf.) Oder in „Nephews“, in dem es wieder ins Wasser geht. Zu einem Gitarrenthema, das an die Animals-Version von „House of the Rising Sun“ erinnert, träumt Dana Margolin davon, zwei Neffen (!) im tiefen Meer zu sein. „You slip into unconsciousness“, singt sie, im Gegensatz zu „Crystal Ship“ von den Doors, in dem eine ähnliche Zeile vorkommt, ist die Bewusstlosigkeit hier ein ersehnter Zustand. Und doch brandet gegen Ende des Songs wieder diese Verzweiflung auf, die geradezu in Hysterie mündet. In solchen Momenten erinnert Margolin ein wenig an die frühe P. J. Harvey. Wie diese kann sie nerven und packen zugleich. Spannend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2020)

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