Je rätselhafter die Krankheit, desto mehr wird sie zum Symbol für das „Falsche“ an der Gesellschaft, im Kranken: Von gefährlichen Corona-Metaphern und deutungssüchtigen Künstlern.
Können Tiere, kann die Natur sich rächen? Im Roman „Der Gesang der Fledermäuse” der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk scheint es so. Jäger werden tot aufgefunden, der Boden um ihre Leichen ist von Tierspuren zertrampelt, von Tausenden von Käfern bedeckt, Wunden scheinen von Tiergeweihen zu stammen. Doch es stellt sich heraus: Ein Mensch hat die „Rache der Tiere“ inszeniert. Ein Mensch hat die Zeichen gelegt.
Heute gibt es Gott sei Dank nur wenige, die der Menschheit eine Pandemie als „Rache der Natur“ wünschen. Aber viele, die in den letzten Wochen die Coronakrise eilig als Ausdruck dessen oder zumindest Hinweis darauf deuten, was in der Gesellschaft falsch, was in ihr der menschlichen Natur, der Natur überhaupt zuwider laufe. Seit Platon haben Menschen in Krankheitsbildern über gesellschaftliche Missstände gesprochen. Was ist da verlockender, als eine reale Krankheit, die eine ganze Gesellschaft befällt, eine Pandemie in einer Art magischem Denken als Bestätigung, als Symptom zu sehen? Als zum Leben erwachte Metapher?
Als solche findet sich das Coronavirus gleich an beiden Enden der Natürlichkeitsskala wieder: Sie erscheint als Zeichen einer abnormen Lebensweise, zugleich als natürliche Reaktion (nicht Gottes wie einst, sondern „der Natur“). Auch einige Schriftsteller stimmen ein. „Sogar die Tiere scheinen zu warten, was auf uns zukommt“, hieß es in einem am Donnerstag in der „Presse“ veröffentlichten Text der Literaturnobelpreisträgerin über ihr Erleben der Coronakrise. Das Virus bedrohe nicht unsere „normale Lebensweise“, sondern zeige, wie abnorm diese sei. Und die französische Autorin Leila Slimani hat das Gefühl: „Die Natur rächt sich.“