Gastkommentar

Nicht nur Corona, sondern auch der Verlust der Demokratie kann tödlich sein

Franz Fischler,  Präsident des Europäischen Forums Alpbach
Franz Fischler, Präsident des Europäischen Forums AlpbachDie Presse (Clemens Fabry)
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Wir dürfen auch in Zeiten der globalen Pandemie die Augen vor Beschränkungen der Demokratie nicht verschließen. Franz Fischler zur Situation in Ungarn.

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Es ist bemerkenswert, wie bereitwillig Menschen auf ihre demokratischen und ihre Freiheitsrechte verzichten, wenn sie Angst haben. Eine globale Pandemie ist ein guter Grund für Verunsicherung und Angst. Dennoch dürfen wir nicht die Augen vor Beschränkungen der Demokratie verschließen.

Das ungarische Parlament hat kürzlich aufgrund der Coronakrise weitreichende Kompetenzen für Regierungschef Viktor Orbán beschlossen und sich damit selbst die Möglichkeit der demokratischen Kontrolle genommen. Orbán regiert nun auf unbestimmte Zeit per Dekret. Gleichzeitig wurden hohe Gefängnisstrafen auf die Verbreitung von „Fake News“ — wie auch immer die ungarische Regierung diese definiert — und auf das Verlassen der Quarantäne eingeführt. Ebenfalls im Namen der Pandemiebekämpfung baut Russland seinen Überwachungsapparat aus. Kameras mit Gesichtserkennungsfunktion werden genutzt, angeblich nur, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

Wenn man sie allerdings später für die Totalüberwachung der Bürgerinnen und Bürger einsetzen will, so wie das in China schon seit einiger Zeit der Fall ist, so hätte man sie zu Corona-Zeiten praktischerweise schon einmal getestet. In Serbien baut Präsident Aleksandar Vučić seine ohnehin sehr umfangreichen Macht, aus, schränkt BürgerInnenrechte weiter ein und auch das alles im Namen des Kampfes gegen Corona. 

Auch bei uns wird über Big Data diskutiert

Hierzulande wird aktuell mit den demokratischen Rechten und Institutionen zwar sorgsam umgegangen, aber auch bei uns wird darüber diskutiert, wie die Nutzung von Big Data in der aktuellen Situation mit dem Recht auf Datenschutz vereinbar ist. 

Die Reaktion vieler Menschen auf all diese Entwicklungen: „Haben wir denn jetzt keine anderen Probleme?“ Verständlicherweise wünscht man sich in Österreich, in Ungarn, in jedem Land der Welt, dass das Krisenmanagement schnell und effektiv erfolgt, damit möglichst wenige Menschen infiziert werden und niemand mehr daran sterben muss. Das ist ein Wunsch, den wir alle teilen. 

Fakt ist aber auch, dass wir zwischen unseren demokratischen Rechten und dem Überleben keinen Tauschhandel zulassen dürfen, auch wenn mancher politische Führer suggeriert, dass wir das müssten. Auch der Verlust der Demokratie hat in der Geschichte schon Millionen Tote gefordert.

Demokratie ist kein Luxusgut

Demokratie in Europa und anderswo ist kein Luxusgut, das wir uns leisten, wenn wir gerade keine Schwierigkeiten haben. Demokratie, europäische Einigkeit und Solidarität sowie Dialog sind Grundvoraussetzungen, um die bestehenden Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Eine lebendige Demokratie und starke, unabhängige Institutionen sind die elementare Grundlage — oder „Fundamentals“, wie das heurige Thema des Forum Alpbach lautet —, um jede Widrigkeit, die Europa heimsucht, gemeinsam zu überwinden. In der Krise aufgegebene Freiheitsrechte lassen sich nur schwer zurückerobern. Als Europäerinnen und Europäer dürfen wir uns von niemandem einreden lassen, dass Demokratie das Hindernis bei der Problembewältigung ist. Vielmehr ist sie in den Händen von verantwortungsvollen und wahrlich dem Volk dienenden politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern unsere größte Stärke.

In diesem Sinne ist es unsere Verpflichtung, den Entwicklungen in Ungarn und vielen anderen Staaten kritisch und entschlossen entgegenzutreten. 

Franz Fischler war von 1995 bis 2004 Mitglied der Europäischen Kommission und ist Präsident des Europäischen Forums Alpbach.

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