Zum Ende der Ersten Türkenbelagerung haben die Historiker keine eindeutige Erklärung gefunden.
Medizingeschichte

1529: eine Epidemie inner- und außerhalb des belagerten Wiens

Fast sieben Jahrzehnte litt England unter einer Massenerkrankung, die neben Erbrechen und Fieber auch zu faulig riechenden Ausdünstungen führte. Im Jahr der Ersten Türkenbelagerung Wiens kam der Englische Schweiß bis in die Residenzstadt der Habsburger.

Fast drei Wochen hat das osmanische Heer 1529 die Residenzstadt Wien belagert. Zum Ende der Ersten Türkenbelagerung und zum abrupten Abzug der feindlichen Truppen am 14. Oktober haben die Historiker keine eindeutige Erklärung gefunden. Waren es die vier für die Türken verlustreichen Sturmangriffe, war es ein von Sultan Süleyman II. befürchteter früher Wintereinbruch? Einige Quellen verweisen auf feuchte und kalte September- und Oktobertage sowie – eher unbestimmt – auf Seuchen im Heerlager.

Der Mediziner und Medizinhistoriker Heinz Flamm hat zahlreiche Quellen über Epidemien der vergangenen Jahrhunderte analysiert und ist dabei auf den Englischen Schweiß gestoßen, der 1529 auch in Wien dokumentiert wurde. Über Epidemien habe er in seinen Vorlesungen referiert, sagt Flamm, der von 1966 bis 1991 Vorstand des Klinischen Instituts für Hygiene an der Uni Wien war. „Als Ursache des Englischen Schweißes“, so der Hygieniker, „vermute ich eine wieder verschwundene ,Emerging Disease‘ des 15./16. Jahrhunderts, wie heute z. B. die neuen Grippevarianten, Aids, Ebola oder Sars.“

Erste Epidemie in England

Der Ausbruch dieser verheerenden Epidemie ist mit dem englischen Rosenkrieg und der Schlacht von Bosworth am 22. August 1485 dokumentiert. Einige Truppenteile dürften schon zuvor infiziert gewesen sein, als aber der Sieger Heinrich Tudor in London einzog, brach die Epidemie voll aus. Unter den Opfern befanden sich zwei Bürgermeister und einige Ratsherren. Heinz Flamm: „Es wird berichtet, dass die Herren abends noch gefeiert hatten und am folgenden Morgen bereits tot aufgefunden wurden.“

Die Massenerkrankung dauerte fünf Wochen, bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts folgten vier weitere Epidemien, wobei sich die vierte und schwerste 1529/30 bis Wien erstreckte. Überliefert ist, dass diesen Seuchen regenreiche Wetterperioden mit Überschwemmungen vorausgingen. In erster Linie waren Männer mittleren Alters betroffen. Mit dem Übergang zur kälteren Jahreszeit erloschen die Epidemien. Im Rückblick geht seit dem 20. Jahrhundert die Wissenschaft von einer Virusgenese und einer Infektionskrankheit aus.

Die klinischen Erscheinungen fasst Heinz Flamm nach Originalpublikationen mehrerer Ärzte zusammen. Demnach kündigt sich die Erkrankung nach einer Inkubationszeit von 24 bis 48 Stunden mit starken Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen und Fieber an. Der Erkrankte fühlt sich schwach, und er verlangt nach kalter Luft. Vor allem aber: Er schwitzt, der Schweiß stinkt nach fauligen Eiern und ist gelblich und dickflüssig. Die Erkrankung flaut nach 24 Stunden ab, der Tod kann aber binnen weniger Stunden eintreten. Im Juni 1529 sollen in London 40.000 Einwohner erkrankt gewesen sein, von denen 2000 starben.

Zur Behandlung wurden verschiedene Rezepturen entwickelt. Betroffene sollten vor kalter Luft geschützt werden, sie sollten schwitzen. Deswegen legte man sie oft zusammen in ein Bett, manchmal auch zu einem gesunden Menschen, der erwärmen sollte.

Da als Ursache der Erkrankung eine zu große Feuchtigkeit im Körper angenommen wurde, wurde übermäßiges Trinken verhindert. Im Zuge der vierten Epidemie wurde die Epidemie von England auf den europäischen Kontinent übertragen. In Wien könnte die Krankheit durch 30 Frankfurter Bürger, die zur Verteidigung der Stadt abkommandiert worden waren, eingeschleppt worden sein.

Schlechtwetter bei Belagerung

Der ganze Sommer war verregnet, und während der Belagerung herrschte ein schlechtes und kaltes Wetter. Die Seuche hat nach zeitgenössischen Berichten unter den eingeschlossenen Verteidigern ebenso gewütet wie im türkischen Heerlager.

„Da kam der Schweiß unter sein Volk, dass er die Länge musste wegziehen“, heißt es in einer im 18. Jahrhundert verfassten Geschichtsdarstellung zur Situation bei Süleymans Truppen.

1551 wurde England von der letzten Schweiß-Seuche heimgesucht, dann war es mit der Massenerkrankung vorbei. Als eine mindere spätere Form wird der Schweißfriesel gesehen, nach dem Ersten Weltkrieg ist aber auch dieser verschwunden.

Lexikon

Bericht: „Regiment vnd Ártzney in dem Englisch Schwais 1529“ lautet eine 59-seitige Handschrift zweier Linzer Apotheker aus dem Jahr 1529 über die Epidemie in Wien.

Dokumentation: Der Mediziner Heinz Flamm verfasste im Vorjahr in der „Wiener Medizinischen Wochenschrift“ (5-6/19) die Abhandlung „Anno 1529 – der ,Englische Schweiß‘ in Wien, die Türken um Wien“. Im Beitrag auf dieser Seite wird auch aus diesem Artikel zitiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2020)

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