Englische Schweißkrankheit

Im Sommer kam der Tod nach London

König Henry VIII flieht vor der Krankheit aus London. Seine spätere Ehefrau Anne Boley überlebt.
König Henry VIII flieht vor der Krankheit aus London. Seine spätere Ehefrau Anne Boley überlebt.(c) imago/United Archives Internatiol
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Die englische Seuche in Hilary Mantels Tudor-Trilogie.

„Liz Cromwell erledigte die üblichen Arbeiten im Haushalt, zu Mittag legte sie sich hin, sie hatte in der Nacht viel geschwitzt und war nun plötzlich müde geworden. Sie zitterte, obwohl ihre Haut brannte, und klagte über Kopfschmerzen, um ein Uhr rief sie nach einem Priester, um zwei legte sie die Beichte ab. Der Geistliche hatte es eilig, wieder aus dem Haus zu kommen. Um vier Uhr starb sie. Ihr Ehemann kam gegen Abend nach Hause, er hatte die Stunde des Todes nicht miterlebt.“

Es gibt Hunderte Stellen in Hilary Mantels Tudor-Trilogie, die man nicht so schnell vergisst. Zwei davon sind die Abschnitte im ersten Teil („Wölfe“), in denen der Tod von Thomas Cromwells Ehefrau, Liz, und (ein Jahr danach) der seiner beiden Kinder, Anne und Grace, geschildert wird. Beide waren angesteckt durch eine alljährlich im Sommer auftauchende mysteriöse Krankheit und starben binnen weniger Stunden. Das Kapitel beginnt mit den Sätzen: „Als in diesem Sommer, 1528, das Schweißfieber zurückkehrt, sagen die Leute genau wie im letzten Jahr, dass man es nicht bekommt, wenn man nicht daran denkt. Aber wie kann man nicht daran denken?“

Auch die Haushalte der Reichen und Mächtigen in England sind nicht vor der Ansteckung gefeit, auch nicht der von Thomas Cromwell, der gerade seine atemberaubende Karriere im Dienste von König Henry VIII. beginnt. Der König selbst flieht aus London: Er zieht von einer Jagdhütte zur nächsten. Prominentestes Opfer ist 1528 eine junge Frau, Henrys spätere Ehefrau Anne Boleyn, sie überlebt, acht Jahre später stirbt sie unter dem Beil des Henkers. Die Menschen in London, die in ihren Häusern bleiben müssen, hängen Strohbündel vor die Haustüren als Zeichen der Seuche, sie beschränken dann vierzig Tage den Zugang und gehen selbst so wenig wie möglich hinaus. Auch die Flucht aufs Land nützt nichts. Alle warten auf das Ende des Sommers, bis die Seuche wieder vorbei ist. Nun erst können die Zeremonien für die Verstorbenen nachgeholt werden.

Es beginnt wie aus dem Nichts mit unerklärlichem Fieber, Schüttelfrost, Gliederschmerzen und Kopfweh und endet fast immer tödlich. Bis heute wissen Fachleute nicht, was die Englische Schweißkrankheit, die auf beiden Seiten des Ärmelkanals grassierte und jedes Jahr Zehntausende dahinraffte, verursachte. Auffällig ist, dass auch die gut situierte englische Oberschicht durch die Krankheit dezimiert wurde, oft Männer im besten Alter.

„Der Englische Schweiß“

Mit der auf dem Kontinent grassierenden Pest hatte sie nichts zu tun. War es ein Grippevirus, war der Schmutz der Abwässer schuld, war die Ursache eine Lebensmittelvergiftung durch einen Getreidepilz (die Sommer waren damals sehr nass und kalt)? Zum ersten Mal tauchte die Krankheit gegen Ende der Rosenkriege, im August 1485, dem Geburtsjahr von Cromwell, auf, 1551 verschwand sie wieder nach fünf verheerenden Ausbrüchen. Da vor allem England betroffen war, nannte man sie auf dem Kontinent Sudor Anglicus, der „Englische Schweiß“. John Kays hieß der Arzt, der 1556 die erste Studie darüber verfasste: „Account of the Sweating Sickness in England“. William Shakespeare erwähnt die Krankheit 1604 in seinem Stück „Maß für Maß“, in dem eine Kupplerin beklagt, dass sie der Krieg, das Schwitzen und der Galgen um all ihre Kunden brächten.

Neuere Forschungen vermuten, dass Hantaviren die Auslöser waren, die durch Ausscheidungen infizierter Nagetiere übertragen wurden. Das wäre also eine Zoonose, Übertragung von Tieren, wie beim Coronavirus. 2001 wurden Opfer der Krankheit in Gräbern identifiziert, es gelang aber nicht, mittels DNA-Analysen einen Erreger nachzuweisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2020)

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