Marlen Haushofer und die Wucht der Wand

„Alles wird vergebens gewesen sein“: Marlen Haushofer.
„Alles wird vergebens gewesen sein“: Marlen Haushofer.(c) Sibylle Haushofer
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In einer Welt für sich allein zu sein – wir erfahren das in diesen Tagen. Marlen Haushofer hat eine solche Welt imaginiert: Vor 60 Jahren begann sie mit der Niederschrift ihres Romans „Die Wand“. Vor 100 Jahren wurde sie geboren. Zur Aktualität einer zeitlebens weithin Unterschätzten.

Vor 60 Jahren begann eine bis dahin mäßig bekannte österreichische Schriftstellerin, die im oberösterreichischen Steyr als Zahnarztgattin einen gutbürgerlichen Haushalt mit zwei Kindern führte, mit der Niederschrift eines Werkes, das sich später als Ungeheuerlichkeit herausstellen sollte: 1963 erschien „Die Wand“ von Marlen Haushofer – ein literarischer Paukenschlag. Das Manuskript wurde von Hans Weigel vor der Veröffentlichung als „literarisches Inferno erster Ordnung“ bezeichnet, und das war positiv gemeint – es war eines seiner wenigen „großen Lese-Erlebnisse“, wie Daniela Strigl in ihrer großartigen Biografie über Marlen Haushofer, „Wahrscheinlich bin ich verrückt . . .“, schreibt. Nach der Lektüre schickte Weigel sogleich ein begeistertes Telegramm an seinen Schützling Haushofer. Der apokalyptische Roman wurde bei seiner Ersterscheinung von der Öffentlichkeit unterschiedlich aufgenommen, von manchen aus moralischen Gründen – gottlos und menschenfeindlich – kritisiert, andere hätten gern mehr Science-Fiction-Elemente gehabt, die die Wand (oder nach oben offene Kuppel) zu Beginn zu versprechen schien.

20 Jahre später las ich diese Ungeheuerlichkeit, und sie katapultierte mich zurück in die Grimm'sche Märchenwelt, in der ich noch vor gar nicht langer Zeit als Rapunzel meinen Zopf heruntergelassen hatte. Die Radikalität von plötzlich total veränderten Lebensumständen und die Reaktion darauf hinterließen einen tiefen Eindruck bei mir. Dass mitten in einem österreichischen Wald plötzlich eine undurchdringliche, aber durchsichtige Wand stehen sollte, nahm ich ungerührt hin. Das war in den alten Märchen genauso: Plötzlich hatte man es mit etwas Unwahrscheinlichem zu tun, das nicht angezweifelt wurde. Allerdings gab es hier keinen Prinzen, der einen aus der Misere rettete.

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