Die Einigkeit im Nationalrat ist zu Ende: SPÖ, FPÖ und Neos sind über das „Drüberfahren“ der Koalition empört. Letztlich kann die SPÖ aber doch zu einer Zustimmung zu den Corona-Gesetzen überredet werden.
Wien. Es ist eine Parlamentssitzung, die in die Geschichte eingehen wird. Die Regierung erscheint mit Mundschutz, auch viele Abgeordnete tragen Masken. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sitzt ebenso hinter einer Plexiglasscheibe wie die Redner. Und die Abgeordnetenreihen sind gelichtet: Nur 96 der 183 Mandatare sind anwesend. Die Fraktionen haben sich auf ein kleineres Plenum geeinigt, um die Abstände besser einhalten zu können. Maria Großbauer gehört zu jenen, die nicht dabei sind: Die ÖVP-Abgeordnete ist positiv auf das Coronavirus getestet worden.
Alles steht im Schatten der Coronakrise. Und wie schon vor zwei Wochen hat die Opposition der türkis-grünen Koalition durch Abkürzung der Fristen ein rasches Verabschieden des nächsten Corona-Gesetzespakets ermöglicht. Damit endet der „nationale Schulterschluss“ aber auch schon: SPÖ, FPÖ und Neos sind nämlich extrem verärgert über die Vorgehensweise der Regierungsparteien: Erstens, weil sie all die vielen Maßnahmen – mehr als 80 Gesetze sind betroffen – in ein einziges Gesetz hineingepackt haben, dem die Opposition nur entweder gesamt zustimmen oder es gesamt ablehnen kann. Zweitens, weil die Gesetzestexte extrem spät eintrafen. Und drittens, weil die Anträge der Opposition in den Ausschüssen gar nicht behandelt wurden.
»"Das ist kein nationaler Schulterschluss, das ist die Bulldozer-Methode."«
Herbert Kickl, FPÖ-Klubchef
SPÖ und FPÖ einig
„Das ist kein Schulterschluss mehr“, verkündet der stellvertretende SPÖ-Klubchef, Jörg Leichtfried, gleich zu Beginn der Sitzung. Ein Schulterschluss würde seiner Ansicht nach bedingen, dass Regierung und Opposition „auf gleichem Niveau“ arbeiten. Das ist einer der seltenen Fälle, in denen selbst FPÖ-Klubchef Herbert Kickl seinem Kollegen recht gibt: Die Opposition habe sich an die Vereinbarungen gehalten, die Koalition aber nicht. Und: „Das ist kein Schulterschluss, sondern Bulldozer-Methode.“
Die Klubobleute der Koalition, August Wöginger (ÖVP) und Sigrid Maurer (Grüne) versuchen zu beruhigen: Ja, das sei kein normaler Parlamentarismus, gestand Wöginger zu. Aber: „Wir befinden uns in der größten Krise der Zweiten Republik.“
Doch wie soll die Opposition abstimmen? Da etliche Materien eine Verfassungsmehrheit benötigen, ist in diesem Fall eine Zustimmung entweder der SPÖ oder der FPÖ notwendig. Ein strategisches Dilemma: Soll man alles ablehnen und damit auch notwendige Hilfspakete – etwa für die Unternehmen – blockieren? Oder auch Gesetzen zustimmen, die man eigentlich nicht will? Leichtfried versucht, den Ball der Koalition zuzuschieben: Man werde sich ansehen, wie diese mit den vier Initiativanträgen der Sozialdemokraten umgeht. Darin geht es beispielsweise um eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes oder um die Öffnung der Bundesgärten. Letztlich finden Koalition und SPÖ aber doch einen Kompromiss: Niemand rutscht während der Krise von der Arbeitslosigkeit in die Notstandshilfe. Das ermöglicht es den Sozialdemokraten, dem ganzen Paket zuzustimmen.
Zuerst ist aber die Regierung am Wort. Bundeskanzler Sebastian Kurz nimmt seinen Mundschutz ab und richtet das Wort – nein, nicht an die Parlamentarier, sondern an die „Österreicherinnen und Österreicher“. Der Kanzler bedankt sich für das bisherige Durchhaltevermögen und appelliert dringend, auf Familienzusammenkünfte zu Ostern zu verzichten. Die Krise sei noch nicht überwunden, noch immer würden „Leid, Krankheit und Tod“ drohen. Aber er stellt auch schon erste Lockerungen in Aussicht. Anfang nächster Woche werde man entscheiden, ob und wann Geschäfte wieder öffnen können. Aber auch hier werde es Begleitmaßnahmen geben müssen, etwa über einen Kulturwandel mit Abstandhalten und dem Anlegen von Masken. Für später will der ÖVP-Chef auch vermehrt auf Tests setzen, mit denen man „Glutnester“ löschen könne, damit nicht wieder ein Flächenbrand entstehe.
Hilfe für Mieter und Firmen
Im Nationalrat geht es an diesem Tag aber eher um die Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise. Das Paket der Regierung sieht beispielsweise Hilfen für Mieter vor: Diese können drei Monatsmieten bis Jahresende schuldig bleiben. Auch Tilgung und Zinszahlungen für Privatkredite können auf Wunsch des Kreditnehmers für drei Monate ausgesetzt werden, die Laufzeit der Kredite verlängert sich um diesen Zeitraum. Zusätzlich gibt es einen mit 30 Millionen Euro dotierten Härtefonds für notleidende Familien. Ebenso auf den Weg gebracht wird ein weiteres Hilfspaket für die Unternehmen (siehe Seite 17).
Im letzten Moment eingebracht wurden noch etliche Änderungen, etwa wird es ermöglicht, für die Zurücknahme verhängter Betretungsverbote bestimmte Auflagen anzuordnen. Auch wurden die Rahmenbedingungen für eine bezahlte Auszeit wegen eines besonderen Risikos bei einer Corona-Erkrankung festgelegt.
Im Gesetzespaket enthalten sind auch die weiteren Maßnahmen für die Justiz und den Schulbetrieb. Der Bildungsminister erhält die Möglichkeit, weitgehende Verordnungen zu erlassen: Fristen und Stichtage des laufenden bzw. kommenden Schul-/Studienjahres inklusive der Ferien wird der Ressortchef abändern können. Darüber hinaus soll er den „ortsungebundenen Unterricht“ samt dessen Leistungsbeurteilung regeln können – also wie die derzeit praktizierte Form des Distance Learning in die Noten einfließt. Sogar einen Zusatzunterricht nach Wiederaufnahme des Schulbetriebs kann der Minister anordnen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2020)