Unglücklich?

Isolationsforscher: Social Distancing ohne "Langzeitschäden"

Die Phase der körperlichen Distanz sei am Anfang schwierig und führe leicht zu Missverständnissen, sagt Isolationsforscher Schobin.
Die Phase der körperlichen Distanz sei am Anfang schwierig und führe leicht zu Missverständnissen, sagt Isolationsforscher Schobin. imago images/ZUMA Wire
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Die Corona-bedingten Maßnahmen könnten Menschen einsamer machen, sagt Janosch Schobin von der Uni Kassel. Aber: Mit Isolationshaft und ihren "extremen Auswirkungen auf die Psyche“, sei das nicht vergleichbar.

Geschäfte, Schulen, Museen und vieles mehr sind derzeit geschlossen, die Bürger aufgerufen, sich nur alleine oder mit der Person, mit der sie in demselben Haushalt leben, nach draußen zu begeben. Und das auch nur dann, wenn es absolut nötig ist - um einzukaufen etwa oder einer nicht aufschiebbaren oder in Home Office durchführbaren Arbeit nachzugehen. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Schritte werden sich erst zeigen, fest steht jedoch: Für viele sind sie - trotz geschnürter Hilfspakete - existenzbedrohend. Eine Befürchtung allerdings, könne schon jetzt zerstreut werden, meint zumindest der deutsche Soziologe Janosch Schobin: Das verordnete "Social Distancing" werde seiner Ansicht nach "keine langfristigen Schäden" mit sich bringen.

Freilich: Isolationshaft sei eine "sehr extreme Form mit extremen Auswirkungen auf die Psyche", räumt Schobin ein. Von Kritikern wird sie deshalb auch als "Isolationsfolter" bezeichnet. Die wegen der Coronavirus-Pandemie ergriffenen Maßnahmen wie das vorgeschriebene Abstandhalten seien damit aber nicht vergleichbar. "Man kann noch immer rausgehen, auf Distanz bzw. virtuell kommunizieren", sagt Schobin, der an der Universität Kassel unter anderem zu sozialer Isolation und Freundschaftssoziologie forscht.

Die Phase der körperlichen Distanz sei am Anfang schwierig und führe leicht zu Missverständnissen, gesteht der Experte zwar ein. Doch dass sie nach zwei, drei Monate bereits zu nachhaltigen Veränderungen führe, halte er für unwahrscheinlich: "Ich bin mir relativ sicher, dass die Leute danach bald zum normalen Habitus zurückkehren, dafür sind unsere kulturellen Skripten viel zu tiefsitzend und stark."

Wiederholung als kritisches Momentum

Ein kritischer Punkt sei jedoch die Wiederholung: Bleibe es nicht bei einer "einmaligen Ausnahme, also wenn wir etwa nächstes Jahr wieder eine Epidemie mit ähnlichen Folgen erleben", dann könne dieser Zustand "relativ schnell zum Dauerzustand, einer Dauerschutzmaßnahme" werden, betont Schobin. Danach sehe es momentan aber nicht aus, beschwichtigt er zugleich: Die in den meisten europäischen Ländern verordneten Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen seien schließlich "auf einen kurzen Zeitrahmen vollkommen nachvollziehbar und rational".

Dennoch: "Damit jemand unglücklich sein kann, muss er erst mal leben", meint Schobin. In anderen Worten: Die Corona-bedingten Maßnahmen könnten Menschen zuweilen schon einsamer machen. Singles oder ältere Menschen, aber auch Personen, die in zerrütteten Beziehungen leben, seien besonders gefährdet, zu vereinsamen. Unsicherheit und Stress oder Krankheit könnten dies weiter verstärken. Vereinsamen könne man aber auch, wenn das Vertrauen in ein staatlich funktionierendes (Gesundheits-)System weg bricht - ein Punkt, den er eher in Entwicklungsländern als schlagend einschätzt.

Positiv sei jedenfalls der bereits jetzt vielerorts gewachsene Zusammenhalt: "Erfahrung von Differenz macht tolerant. Es ist durchaus möglich, dass wir nun lernen, dass Dinge auch anders sein können, ohne bedrohlich zu sein."

(APA/Red.)

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