Spaziergänger bewundern die Kirschblüte im Kungstradgarden in Stockholm. Bisher mussten sich die Schweden kaum einschränken, Parks, Schulen und Geschäfte sind geöffnet. Das könnte sich bald ändern.
Reportage

Coronavirus in Schweden: Abkehr vom Sonderweg?

In der Corona-Krise hat Schweden bisher kaum Restriktionen erlassen. Doch mit einer steigenden Zahl von Infektionen wird die Kritik an der Strategie immer lauter. Ministerpräsident Löfven rechnet mit Tausenden Toten.

Alex McBeath steht hinter dem Tresen seines Pubs „Tudor Arms“ im Stockholmer Stadtteil Östermalm. Normalerweise drängen sich die Menschen dicht an dicht um diese Zeit in dem Lokal. Jetzt aber sind nur wenige Tische besetzt. Kleine Schilder machen darauf aufmerksam, dass man sein Bier nur im Sitzen trinken darf – so sehen es die neuen Regeln der Gesundheitsbehörde vor. „Nicht einmal halb so viele Leute wie sonst an einem Freitagabend sind heute da“, sagt der 31-Jährige. „Und es werden von Woche zu Woche weniger“. Auch die Schweden gehen mittlerweile auf Distanz oder bleiben ganz zu Hause, auch wenn es im Land weder eine Ausgangs- noch eine Kontaktsperre gibt.

An einem Tisch in der Ecke des Lokals sitzen Sara und Joakim Lindstrand. Beide sind Anfang vierzig. Mit ihren drei Kindern waren sie vor kurzem noch in Italien zum Skilaufen. „Nein, wir haben keine Angst vor dem Virus,“ sagen sie. „Wir werden es sowieso irgendwann bekommen.“ Auch wenn sie selbst nicht mehr viel ausgehen, sind sie froh, dass es in ihrem Land so etwas wie einen Alltag in der Krise gibt. „Wir vertrauen unseren Behörden.“

Nur ein Verbot erlassen

Ein Ort in Stockholm, an dem fast jeden Tag Gedränge herrscht, ist der schlichte Backsteinbau auf dem Gelände des Karolinska Institutes. Hier finden immer um 14 Uhr die Pressekonferenzen der nationalen Gesundheitsbehörde statt. Seit nunmehr drei Wochen kann man hier immer wieder die beiden wichtigsten Botschaften von Anders Tegnell hören, dem obersten Epidemiologen des Landes. „Wir müssen unsere Risikogruppen schützen. Und wer krank ist, bleibt zu Hause“. Das ist sein Mantra. Auf unnötige Reisen soll man verzichten. Wer kann, arbeitet von zu Hause aus. Und natürlich Händewaschen nicht vergessen. Mehr aber nicht.

Bis Mitte dieser Woche hat es nur ein einziges Verbot in Schweden gegeben: es gilt für Menschenansammlungen von mehr als 49 Personen. Seit diesem Donnerstag gibt es ein zweites: alle Besuche in Alten- und Pflegeheimen wurden untersagt. Aber die Schulen bis Klasse neun bleiben weiter offen. Auch Restaurants und Geschäfte müssen nicht schließen. Die Schweden wollen es ohne das Lahmlegen des öffentlichen Lebens schaffen, die Kurve der Neuinfektionen und Erkrankten flach zu halten.

Doch am Donnerstag musste Anders Tegnell erstmals einräumen: „Wir haben ein neues Niveau erreicht.“ Mehr als 500 neue Fälle binnen 24 Stunden. So viele wie noch nie seit Ausbruch der Krise. Und auch 59 Tote innerhalb eines Tages sind ein trauriger Rekord. Die Corona-Fälle in Altersheimen nehmen zu. Am Abend zeigt das schwedische Fernsehen eine Reportage über zwei Rettungssanitäter: Sie holen einen Covid-19-Patienten nach dem anderen zu Hause ab. Die meisten sind zwischen 40 und 50 Jahren alt. Es mag Zufall sein, aber die Zahlen beunruhigen. Trotzdem bleibt Anders Tegnell gelassen: „Wir wollen dasselbe wie alle andern Länder auch. Wir wollen, dass sich das Virus so langsam wie möglich ausbreitet. Und das ist uns bisher recht gut gelungen.“
Mittlerweile kommen auch Fernsehteams aus dem Ausland zu den Pressekonferenzen.

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