Für Zeiten wie diese

Im Grunde begann das Risiko bei meiner Geburt

„Senior“ ist an mir abgeprallt, aber „Risikogruppe“, das sitzt. Über meine neue Identität.

Jetzt also habe ich eine Identität: Ich bin eine Risikogruppe – und was für eine: Täglich versichern mir Kinder in Fernsehspots, wie besorgt sie um mich sind. Das ist fürsorglich, aber irgendwie spricht es mich doch nicht an. Erstens denke ich, dass ich einigermaßen vernünftig gelebt habe, und zweitens zeigen manche Statistiken, dass die Mortalität bei den bis zu 60-Jährigen etwas höher ist als in meiner Altersgruppe.

Ich ein Risikofaktor? Im Grunde begann das Risiko bei meiner Geburt. In der Nachkriegszeit war die Lebensmittelversorgung kurzfristig schlechter als in den Kriegsjahren. Als Kinder hatten wir Läuse und Würmer. Am Land wuchsen wir auf wie junge Hunde – eine Risikogruppe für Ältere, die diesem Risiko gelegentlich mit Ohrfeigen begegneten. Welche Risikogruppe war man erst als Student! Man saß auf den Stufen des Theseustempels, argwöhnisch von Sicherheitskräften beäugt. Dann die Risikogruppe der Augenzeugen des legendär gewordenen „Hörsaalskandals“. Die Staatspolizei musste auf uns aufpassen! Oder jener Jungen, die es lustig fanden, als sich Friedensreich Hundertwasser bei einer Ausstellung seiner Kleider entledigte, woraufhin die Wiener Vizebürgermeisterin fluchtartig den Raum verließ. „Die Nackten und die Roten“ titelte dann eine Zeitung.

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