Über Diskussionen zwischen Tauben und Falken, einer langsamen Rückkehr und Ärger und Zorn in der vierten Woche.
Guten Morgen! Die vierte Woche mit den massivsten staatlich angeordneten Einschränkungen der 2. Republik beginnt. Heute wird die Regierungsspitze eine mit Zahlen unterlegte Zwischenbilanz ziehen und erstmals mögliche Maßnahmen zum viel zitierten Hochfahrens unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens skizzieren. Es werden mehrere Phasen sein, die da je nach Entwicklung der Ansteckungs- und Sterbezahlen beginnen werden. Innerhalb der Regierung und des Krisenstabs gab und gibt es eine Diskussion zwischen Tauben und Falken. Erstere – unter ihnen der Gesundheits- und der Bildungsminister – wollen der Bevölkerung eine klare Perspektive für eine langsame Rückkehr in eine Art Normalität geben. Die Falken allen voran Bundeskanzler Sebastian Kurz plädieren eher dafür, die vor drei Wochen in Kraft getretenen Maßnahmen weiter strikt durchzuhalten und keineswegs eine Lockerung zu suggerieren, die dann möglicherweise schon in den kommenden Tagen zur Auflösung der bisherigen Disziplin führen könnte. Man kann davon ausgehen, dass wir daher einen Mittelweg präsentiert bekommen.
Da draußen ist das mit den Falken und Tauben anders. Erstere fordern ein sofortiges Ende der Maßnahmen und hoffen auf den schwedischen Weg mit bisher weniger harten Maßnahmen. Dass der gerade scheitert, ist ihnen nur schwer beizubringen.
Die erste Woche war noch von einer kollektiven Bereitschaft geprägt, sich in eine neue Situation zu begeben. In der zweiten Woche wurde die Situation dann gelebt und hinterfragt, die dritte Woche fragten sich viele, wie das eigentlich passieren konnte und wer Schuld trägt. Ärger über den Verlust von Arbeitsplatz oder der finanziellen Perspektive als Unternehmer, soziale Probleme und das Wissen, nicht mehr selbstbestimmt zu sein, führen bei nicht wenigen zu einer sonderbaren Mischung aus Unbehagen und Zorn, die sich in sozialen Medien und kursierenden herben Aufrufen ergießt. Das ist auch ein wichtiger Teil der Debatte, gerät aber mitunter schon etwas diffus-aggressiv.
Etwa so: „Ich möchte jeden von Euch dazu aufrufen mitzuhelfen, dieses Desaster abzumildern, wenn es denn nicht mehr zu verhindern ist. Es kann nicht angehen, dass wir nur noch über neue, virtuelle Methoden einer Eindämmung der Krankheit diskutieren. Eine kommunistische Diktatur als politisches Vorbild? (...) Soll denn Europa auch noch am Virus sterben? Der Zug ist längst abgefahren, und zwar in die völlig falsche Richtung. Was stattdessen zu tun ist: Wir müssen neben allen bestehenden Anstrengungen zur optimalen Behandlung der Schwerkranken, aber doch so schnell wie ohne Kollaps des Gesundheitssystems irgend möglich, eine ausreichende Immunität unter den Jungen und Gesunden herstellen. Das ist ja nicht meine Erfindung. Über Schweden wird hier kaum berichtet. (…) Das bedeutet eine deutliche Abkehr von der radikalen Politik der sozialen Distanz, jedenfalls unter den nicht primär Gefährdeten. Dabei wird es – leider – auch Todesopfer geben, wie bei jeder Krankheitswelle. (…) Aber das ändert doch nichts an der Wahrheit. Für unsere Länder scheint mir der Ausweg aus einer monatelangen Agonie der verschleppten „Abflachung“ nur über Ansteckung, Immunität und Immuntests zu gehen. Nur die immun Getesteten, die weder aktive noch passive Ansteckung fürchten, werden unsere Gesellschaft und Wirtschaft wieder zum Laufen bringen können. (…) Wir müssen jetzt verlangen, dass unsere Regierungen sich nicht mehr hinter dem einem oder anderen entrückten Virologen verschanzen, sondern dass sie für die Lösung dieser allumfassenden Krise die besten Köpfe des Landes mit heranziehen. Bitte wacht auf, redet mit, werdet laut und handelt!“
Also: Es wären mehr Krankheitsfälle, es wären mehr Tote als bei „jeder Krankheitswelle“. Der Kollaps des Gesundheitssystems wäre leicht möglich. Es wird regelmäßig über Schweden berichtet. Es werden mehr Tests gemacht. Und es dauert nicht schon seit Monaten. Das sind nur einige faktische Fehler in der Brandrede, die mir anonymisiert zugespielt wurde und ich nur exemplarisch verwende. Ich halte das für riskant bis gefährlich. Derlei wird – auch noch wütender – von Buchverlegern und Kommentatoren in Österreich auf Facebook und Co formuliert. Der Hinweis, dass alle Medien gekauft wären, darf nicht fehlen. Dazu hier heute mehr.
In der „NZZ am Sonntag“ schrieb ein österreichischer Ex-Redakteur in einem Artikel über Österreich, dass Ankündigungen sowie Entscheidungen der Regierung und die Vorgänge in Tirol von den Wiener Medien nicht kritisiert oder hinterfragt worden wären. Das ist eine glatte Lüge, alle Qualitätszeitungen und -medien haben Datenschutz-Ideen, dem missglückten „Krisenmanagement“ zuletzt und vor allem der Schande von Tirol (ORF-Schauplatz) viel Raum und Recherche gewidmet. Google, die jeweiligen Archive oder Twitter wären da sicher gerne behilflich gewesen. Und um den Artikel abzurunden wird auch noch der Vorwurf erhoben oder besser: sehr wienerisch angedeutet, die Medien würden mit der einmaligen Erhöhung der Presseförderung bestochen worden sein. Das Gute an Österreich-Texten ist, dass sie sich so leicht schreiben. Besser wäre es nur noch, wenn die FPÖ den Gesundheitsminister und Innenminister stellen würde. Kommen für die Österreich-Beschreiber hoffentlich wieder.
Nun, tatsächlich bekommen Medien wie so ziemlich alle von der Krise massiv getroffenen Unternehmen und Branchen finanzielle Hilfe vom Staat – und zwar in einer an der Druckauflage gemessenen Höhe. Dadurch bekommen „Die Presse“, die „Salzburger Nachrichten“, das „Profil“ oder „Der Standard“ sehr viel weniger als die Millionenbeträge, die zu „Österreich“ oder „Krone“ fließen. (Und viel weniger als sie alle durch den Anzeigeneinbruch verlieren.) Finde ich das gut? Nein, ich finde es nie gut, wenn Medien staatliche Hilfe brauchen oder bekommen. Nein, weil vielleicht Qualitätskriterien wie etwa die Zahl der fix angestellten Wissenschaftsredakteure besser als die Druckauflage – nicht die verkaufte, nur die gedruckte übrigens – wären. Aber werde ich das lautstark kritisieren? Nein, der Chefredakteur einer Zeitung sollte nicht wüten, wenn andere mehr Geld bekommen als sein Medium, er könnte leicht wie ein frustrierter Bittsteller wirken. Fast alle österreichischen Regierungen haben die großen Boulevardzeitungen finanziell, politisch und publizistisch mittels persönlicher Nähe unterstützt. Hat langfristig nur keiner wirklich geholfen.
Wollte ich heute unterhaltsamer und weniger bierernst sein? Über Christian Kerns Friseur-Tweets und Christian Rainers Aussicht schreiben? Ja, stimmt. Wird die Woche schon noch. Es geht nämlich mit den bösen Zahlen bergab und mit uns bergauf, versprochen.