Gastbeitrag

Mit Corona-Bonds Europa retten

Ein von spanischen, österreichischen und holländischen Europaparlamentariern unterzeichneter Appell zur Einführung von Corona-Bonds.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Folgender Appell ist gezeichnet von Iratxe García, Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Andreas Schieder, Delegationsleiter der SPÖ im Europaparlament, Evelyn Regner, MdeP und Vorsitzende des Ausschusses für Frauenrechte und Gleichstellung, sowie Paul Tang, MdEP im Wirtschaftsausschuss.

Nur drei Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl durchlebte der Integrationsprozess seine erste Krise. Im Jahr 1954 verweigerte die französische Nationalversammlung dem Vertrag für eine Verteidigungsgemeinschaft ihre Zustimmung, und versetzte die Regierungschefs der sechs Gründerstaaten in Verwirrung und Bestürzung. Die Niederlande hauchten daraufhin der Gemeinschaft mit einem gewagten und ehrgeizigen Vorschlag neues Leben ein: eine umfassende Wirtschaftsgemeinschaft. Und die Idee wurde Realität: Die Vertiefung und Erweiterung zu einer Gemeinschaft - heute eine Union - brachte Millionen von Europäern Frieden und Wohlstand. Das ist genau die Art von Leadership, die wir heute brauchen, um die Zukunft unseres Europas zu sichern.

Der gemeinsame Markt ermöglichte den freien Verkehr von Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital Die Entwicklung zu einem Binnenmarkt mit gemeinsamen Standards und weniger Barrieren, führte zu einer höheren Produktivität und niedrigeren Preisen. Diese engere wirtschaftliche Zusammenarbeit der EU-Länder brachte allen Vorteile, auch wenn einige davon mehr als andere profitieren.

Jetzt ist nicht die Zeit für Schuldzuweisungen. Die europäische Integration ist auf keinen Fall ein Nullsummenspiel. Es wäre auch die Pflicht, der Staats- und Regierungschefs, besser zu erklären, was auf dem Spiel steht, wenn wir einander nicht wirtschaftlich helfen. Zu wenige wissen, dass die Kohäsions- und Strukturpolitik unter  Kommissionspräsident Jacques Delors eingeführt wurde, um die Verluste auszugleichen, die einige Länder und Regionen beim Beitritt zum Binnenmarkt erlitten hatten. Fairness und Solidarität sind die Grundsätze, auf denen unsere Union aufbaut. Nur durch Solidarität – finanzielle Solidarität miteingeschlossen - wird die EU zur Win-Win-Situation ohne Verlierer.

»Einige EU-Staaten wurden im Austausch für Rettungsprogramme in brutale Auflagen gezwungen; deren harte sozioökonomische Folgen bis heute nachwirken.«

Die Delors-Kommission startete auch das Projekt einer gemeinsamen Währung, die Schritt für Schritt eingeführt werden sollte. In der Übergangsphase traten deutliche Lücken bei den Renditen von Staatsanleihen, beim Zinsniveau und auch bei der Inflation hervor. Als der Euro dann 2002 auch als Bargeld eingeführt wurde, fehlten immer noch einige notwendige Instrumente, um unsere gemeinsame Währung zu managen. Während der Finanzkrise 2008 machten sich diese Versäumnisse schmerzlich bemerkbar. Einige EU-Staaten wurden im Austausch für Rettungsprogramme in brutale Auflagen gezwungen; deren harte sozioökonomische Folgen bis heute nachwirken.

Globale Spekulation gegen die Staatsschulden einiger Länder konnten damals nicht abgewehrt werden, da die traditionellen nationalstaatlichen Schutzmechanismen nicht durch europäische Schutzmechanismen ersetzt worden waren. Besonders das Fehlen europäischer Instrumente wurde bitter bezahlt. Ungefähr zu dieser Zeit, einigten sich die Euro-Länder darauf, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu schaffen, um Ländern in großen finanziellen Schwierigkeiten durch die Bereitstellung von Notfallkrediten zu helfen. Im Gegenzug mussten die Länder jedoch strikte Strukturreformen durchführen, die zu Recht als fehlgeleitete Austerität gegeißelt werden. Der ESM wurde für asymmetrische Schocks konzipiert, in der Annahme, dass die Länder in der Vergangenheit systematische Fehler gemacht hatten. Nichts davon trifft auf die gegenwärtige COVID-19-Krise zu, denn sie betrifft alle Länder.

Im Gegensatz zu dem, was Robert Mundell 1961 offenlegte, besteht das Hauptproblem der Währungsunion nicht nur darin, wie auf asymmetrische Schocks zu reagieren ist. Während der Finanzkrise 2008 wurde sehr deutlich, dass die einzelnen EU-Länder nicht mit einer souveränen Geldpolitik antworten konnten, da sie ihre Währung nicht abwerten konnten. Die Spekulation mit Anleihezinsen traf einige Länder besonders hart, während andere vom Leid ihrer Nachbarn profitierten.

Gegenwärtig wird die EU von einem durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten symmetrischen Schock getroffen, der unsere in der letzten Krisen entwickelten Instrumente unbrauchbar macht. Die sozioökonomischen Auswirkungen dieser Krise werden einen noch größeren Tsunami als 2008 verursachen. Europa steht vor einer existenziellen Krise, die zu einer großen Desillusionierung vieler Regierungen und Menschen führen könnte. In der Finanzkrise haben wir die Banken gerettet, jetzt geht es darum die Beschäftigten in Europa zu retten.

So wie die Kohäsionspolitik und der Binnenmarkt zwei Seiten einer Medaille sind, so sind gemeinsame Anleihen die andere Seite einer gemeinsamen Währung, des Euros. Länder, die sich diesen Bonds widersetzen, werden mittelfristig von der gleichen wirtschaftlichen Depression betroffen sein wie ihre Nachbarländer.

Wir wissen, dass die Entscheidung den Euro einzuführen eher auf politischen als auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhte. Die Staats- und Regierungschefs, beschlossen in den 1950er, aber auch in den 1980er und 1990er Jahren, gemeinsam vorwärts zu gehen und unsere Schicksale enger miteinander zu verknüpfen. Diese Aufgabe ist noch nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Die gegenwärtige Krise muss Anlass sein, echtes Leadership zu zeigen und die Mechanismen der Eurozone mit Coronabonds zu vervollständigen, um Solidarität und Fairness im europäischen großen Ganzen zu gewährleisten.

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