Corona Briefing Tag 23

Von Albert Camus, den 48er-Barrikaden, dem Hammer, der Alfred-Gusenbauer-Schalte und meinem Tänzchen

(c) imago images (Frank Mueller)
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Eigentlich müssten wir ein Glas auf ein kollektives Erfolgserlebnis heben. Die berühmte Kurve der Neuinfizierten flacht sehr merklich ab. Aber...

Guten Morgen! „Jetzt wird man ohne weiteres zugeben, dass unsere Mitbürger in keiner Weise auf die Ereignisse vorbereitet waren, die sich im Frühling dieses Jahres abspielten.“ Das sagt natürlich nicht irgendein gewählter österreichischer Politiker, sondern schreibt ein gewisser Albert Camus in der „Pest“. Dass dieser Roman und einschlägige Katastrophen-Literatur so wie nicht ganz so wertvolle Hollywood-Blockbuster auf Netflix stark nachgefragt werden, darf man schon als ernsthaftes, fast bildungsbürgerliches Interesse an der aktuellen Situation inmitten der sonstigen verständlichen Zerstreuung werten.

Sebastian Kurz hätte Camus wie folgt in Richtung Journalisten zitiert: „Selbst Sie werden ohne weiteres zugeben müssen, dass unsere Regierung in keiner Weise auf die biblische Prüfung vorbereitet war, die sie im Frühling dieses Jahres bewältigte.“

Eigentlich müssten wir jetzt – oder besser am Abend – ein Glas auf ein kollektives Erfolgserlebnis heben. Die berühmte Kurve der Neuinfizierten flacht sehr merklich ab. Die Anstrengungen, der massive Einschnitt in unser Wirtschaftsleben scheinen zu greifen. Selbst Angela Merkel formulierte fast so etwas wie ironisches Lob für Österreich, das mit der Entwicklung und den Maßnahmen vor Deutschland sei. In der ganzen österreichischen Debatte vergessen wir eines viel zu leicht: Fast alle Länder und Regierungen weltweit haben vergleichbare Maßnahmen erlassen, wenige früher, viele später. (Eine Freundin in Athen berichtete mir, dass man vor dem Verlassen der Wohnung einen der wie bei uns erlaubten Gründe per SMS an die Behörde schicken muss, um allfällige Kontrollen zu passieren.) Kann aber natürlich sein, dass alle Welt-Lemminge irren und nur ein paar Kenner spätnachts an ihren PC die eigentliche Lösung ohne internationalen Wirtschaftskrach gekannt hätten. Wir werden es nie erfahren.

Sebastian Kurz und der Regierungsspitze hatten am Montag jedenfalls fast Schwierigkeiten, die Notwendigkeit der weiter geltenden Ausgangsbeschränkungen mit ihrer schon üblichen Miene aus Sorge und Mahnung zu betonen. Oliver Pink schreibt dazu und über den bald gelockerten Lock-Down:

„Ein Hauch von 1848 lag in der Luft. Da die linken und rechten Revolutionäre, mitten drinnen auch die liberalen. Dort die Obrigkeit, die sich im Schönbrunner Schlossgarten verschanzt hielt. „Falter“-Redakteure standen Seite an Seite mit Herbert Kickl an der Barrikade, der IV-Präsident mit SPÖ-Stadtrat Peter Hacker. Und die Obrigkeit, so die Legende, konnte in die Knie gezwungen werden: Der Schönbrunner Schlossgarten öffnet seine Pforten ab dem 14. April für das Volk. Und der Lockdown wird gelockert. Und auch Don Quixote war zwischenzeitlich wiedererwacht. Er konnte nun endlich seinen Kampf gegen die Windmühle des totalen Überwachungsstaates führen. Wiewohl die Rot-Kreuz-App das nicht wirklich hergab. Letzteres war – neben dem Ostererlass mit fünf zusätzlichen Osterjausen-Besuchern, der auf die grüne Kappe geht – allerdings ein kommunikativer Schnitzer auf türkiser Seite, jedenfalls strategisch. Anstatt Wolfgang Sobotka (mutmaßlich) vorzuschicken, der gleich eine Verpflichtung zur App forderte, hätte Sebastian Kurz einfach weiter das Rote Kreuz oder zumindest Rudolf Anschober machen lassen sollen, da die Grünen in Sachen Datenschutz unverdächtiger sind und größere Glaubwürdigkeit haben. Sonst hat die Regierung in ihrer Gesamtheit bislang aber vieles, um nicht zu sagen alles richtig gemacht. Die aktuellen Zahlen sprechen für sich. Vor allem auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Man braucht dazu gar nicht die schwer betroffenen Staaten Italien, Spanien oder Frankreich herzunehmen, die zu spät dran waren. Auch ein Blick nach Schweden genügt, das bewusst auf Laissez-faire gesetzt hat: Stand gestern gab es in Schweden knapp über 400 Todesopfer zu beklagen. In Österreich waren knapp über 200. Und das sollte noch immer die Kategorie sein, die Vorrang hat: Menschenleben. Die ökonomischen Verwerfungen wiegen zwar zweifellos ebenso schwer. Aber es spricht doch einiges dafür, dass die „The Hammer and the Dance“-Strategie auch den Unternehmern und Arbeitgebern nützt: Je schneller man durch möglichst restriktive Maßnahmen die Ausbreitung des Virus verhindert, desto schneller ist man aus der Krise auch wieder heraus. Und es sieht derzeit in der Tat ganz gut aus. Wenn sich alle an den Fahrplan und die Schutzmaßnahmen halten. Und keiner übermütig wird. Ein Rückschlag á la Singapur wäre verheerend. Wir müssten nahezu wieder von vorne beginnen.“

Ich würde das vermutlich nicht genau so schreiben, kann es natürlich aber voll unterschreiben. Mein Problem und das vieler: Nach den Hammer-Maßnahmen hoffe ich schon lange auf das entspannte Tänzchen, aber auf das müssen wir offenbar noch viel länger warten. Denn an dieser Stelle ein kleines persönliches Geständnis: Ich ertrage geschlossene Restaurants, Theater, Galerien und das Fehlen unterschiedlicher echter sozialer Kontakte überhaupt nicht und empfinde die vergangenen und kommenden Wochen ähnlich wie Zivildienst, viele Schularbeiten und leichte Krankheit: als interessante Erfahrungen, die ich mir sehr gerne erspart hätte.

Dass es nach der Erfolgsmeldung von Montag übrigens noch so weitergeht, ist der große Wermutstropfen der Erfolgsnachrichten, aber Sie können sich darauf verlassen, das ich weiterschreibe wie bisher.

Gestern Abend durfte ich eine interessante Video-Diskussionsrunde – eine Video-Schalte wie Angela Merkel sagen würde – mit Alfred Gusenbauer und Theodor zu Guttenberg moderieren, dabei ging es um die weltpolitischen Auswirkungen der Krise. (Wir von der „Presse“ verwenden Adelstitel gerne, um Sie aufzuwecken.) Das war ziemlich interessant, darüber berichte ich Ihnen morgen, erstens wollte ich Sie heute nicht depressiv, sondern positiv stimmen und zweitens erlauben Sie mir doch bitte, ein paar Tage lang internationale Phänomene zu beschreiben. Statt zu tanzen. Danke Ihnen jetzt schon.

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