Gastkommentar

Krank, kränker, vorerkrankt – tot!

CORONAVIRUS: ZUGANGSKONTROLLEN VOR KAISER-FRANZ-JOSEF-SPITALS (KFJ)
CORONAVIRUS: ZUGANGSKONTROLLEN VOR KAISER-FRANZ-JOSEF-SPITALS (KFJ)APA/GEORG HOCHMUTH
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Das Verdikt Vorerkrankung scheint die Angst vor einer Infektion mit Covid-19 zu reduzieren.

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Fast bei jeder Todesmeldung in Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion, wird gesagt: der/die Patient/in hatte Vorerkrankungen. Das will beruhigen und erklärt scheinbar Alles: krank – kränker – vorerkrankt – tot! Daher atmet jeder auf, der keine Vorerkrankungen hat: nur Ärztinnen, Krankenpfleger und Alte trifft's. Wenn es eine Junge trifft, wie kürzlich in Innsbruck – dann: Vorerkankung!

Das Verdikt Vorerkrankung scheint die Angst vor einer Infektion mit Covid-19 zu reduzieren. Das unsichtbare Hexenmal der Vorerkrankungen tragen jene, die schon bisher lästige Inanspruchnehmer des Gesundheitssystems waren, quasi Krankenhausschmarotzer. Nun hat sie das Virus getroffen. Da sie nicht nur schwach waren, sondern z. B. Diabetes, Bluthochdruck, Raucherlungen oder Adipositas hatten – also eine der weit verbreiteten Volkskrankheiten – können sich die anderen gratulieren.

Was aber machen die Anderen, die Bösen, die Fortgeworfenen, die Vorerkrankungen haben? Vielleicht sollten sie kein Ibuprofen mehr nehmen, auch wenn sie Schmerzen haben. Denn eine Studie hat gezeigt, dass Ibuprofen die Erkrankungswahrscheinlichkeit erhöht, jedenfalls den Ausgang der Erkrankung negativ beeinflusst.

Was aber machen jene mit Hochdruck? Jahrelang hat man die Idealwerte nach unten gesenkt: vor 30 Jahren war noch Standard: 100 plus Alter = richtiger Blutdruck. Heute werden Achtzigjährige auf 140/80 eingestellt. Der Verkauf von blutdrucksenkenden Medikamenten steigt parallel zur Senkung der Normwerte. Jetzt geht's in die nächste Runde: es gibt Mutmaßungen, warum alte Männer eher an der Infektion sterben, als Frauen. Vielleicht sind es nicht nur die Vorerkrankung, sondern sind alte Männer unnüter? Oder es sind Medikamente, die die Abwehr beeinflussen. Konsequenz – Medikamente weglassen und krank sein. Der Nachschub aus den chinesischen Fabriken ist ohnehin eingeschränkt. Das Übergewicht, das anständige Menschen unentwegt bekämpfen. Aussichtslos. Daher: Vorerkrankung und Verurteilung!

Stahlbad des Viruskriegs?

Müssen wir den Verlust von Vorerkrankten bedauern? Ist es nicht die „Reinigung“ eines schwach gewordenen Volkskörpers, der die Vorerkrankten hinwegrafft? Ist es das Stahlbad des (Virus-)Krieges in dem die Schwachen vergehen? Wo habe ich das schon mal gehört, oder gelesen? Jener Volkskörper, wenn er als Ganzes angenommen wird, ist er per se eine faschistoide Annahme, die dazu dient den Einzelnen als unwichtig anzusehen? Nun könnte er sich reinigen durch das Gewitter der Viruspandemie. Mitgefühl, Anteilnahme, Schutz des Schwachen. Verweichlichung einer Gesellschaft, die sich nicht mehr gegen das Virus aus dem Fernen Osten schützt. All dies und dazu Verschwörungstheorien, die auf die „gelbe Gefahr“ hinweisen, kommen auf.

Das Leben in Europa stirbt nicht an der Pandemie, nicht die Keime sind die Aggressoren, sondern die Vorerkrankten sind schuld, das Gesundheitssystem mit Mitgefühl für Schwache wird überlastet. Jene, die am Busen des Volkskörpers gezüchtet wurden, werden zur Bedrohung der Wirtschaft, der Märkte und reißen uns in den Abgrund.

Daher kann die Forderung nur sein: Triage nach Vorerkrankungen, Beatmungsplätze nur für Gesunde, drastische Reduktion der Dauermedikation für alle – vorwärts nach „Elysium“ (wie der Film von Neil Blomkamp, 2013), wo für die Reichen eine perfekte Gesundheitspflege in einer Raumstation im Orbit besteht, für die Armen gar keine. Dieser Film spielt 2154. Vielleicht erreichen wir diese Zustände schneller?!

Univ.-Prof. Dr. med. Peter Scheer (*1951 in Tel Aviv) ist Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, bis 2012 Leiter der Psychosomatik und Psychotherapie der Univ.-Klinik f. Kinder- und Jugendheilkunde Graz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2020)

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