Doku über Skiort

„Am Schauplatz“ über Ischgl: „Seilbahn, Seilbahn, Seilbahn“ 

Am Schauplatz
Am Schauplatz(c) ORF
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Bis morgen ist Ed Moschitz‘ sehenswerte Doku „Ausnahmezustand in Ischgl“ noch in der ORF-TVthek zu sehen. Sie schlägt auch in Deutschland Wellen.

„Schneekönig“ wird der Ischgler Hotelier Günther Aloys genannt. „Touristik-Visionär“ findet man in lokalen Medien, Aloys träumt gerne – und groß. Von Kaiserpinguinen, die man in dem Alpen-Ort ansiedeln könne. Von einem gigantischen 40 Grad warmen Becken, in dem sich die Skifahrer zwischendurch aufwärmen könnten. Oder von einem Kinofilm, der den Wintersport-Ort dem aufsteigenden Skifahrer-Markt China schmackhaft machen soll. Einen Film hat er nun bekommen, einen erfolgreichen sogar: Die ORF-„Am Schauplatz“-Doku „Ausnahmezustand in Ischgl“ verzeichnete bei der Ausstrahlung vergangenen Donnerstag durchschnittlich 1,029 Millionen Zuseher und 28 Prozent Marktanteil. Das ist ein Rekord für die „Am Schauplatz“-Reihe. Weitere 41.000 Mal wurde er außerdem bis Mittwochmittag auf der TVthek abgerufen. Dort kann man ihn sich noch bis morgen ansehen – es ist zu empfehlen, auch wenn der rund einstündige Film wohl nicht nach dem Geschmack der Ischgler Hoteliers ist.

Denn das Bild, das die Doku von dem Verhalten der Ischgler in der Coronavirus-Krise zeichnet, ist kein schönes. Dabei wollte ORF-Redakteur Ed Moschitz eigentlich in eine ganz andere Richtung gehen mit seiner Recherche. Ischgl wirbt nämlich damit, klimaneutral zu sein. Wie das in einem Ort mit 1200 Schneekanonen, beheizten Skiliften und Pistenraupen mit 500 PS gehen soll, wollte Moschitz im Jänner herausfinden. Kurz vor Fertigstellung der Doku brach Anfang März aber die Coronakrise aus – mit dem Epizentrum Ischgl.

Ein „Passierschein“ für die Ausreise

Die zweite Hälfte der Doku beschäftigt sich nun also mit dem Umgang der Verantwortlichen mit der Ausbreitung der Krankheit. Tagelang hätten sie gezögert, die laufende Skisaison vorzeitig zu beenden, legt der Film nahe. Später übten sie sich in Schweigen. Es sind vor allem Saisoniers, die Moschitz per Videotelefonat erreichte und die nicht mehr an ihre ehemalige Arbeitsstätte zurückkehren wollen. Mehrere erzählen, dass sie angewiesen wurden, sich trotz Symptomen nicht testen zu lassen.

Ein Koch aus Deutschland schildert, wie er kurz vor seiner Abreise – ehe Ischgl am 13. März unter Quarantäne gestellt wurde – einen „Passierschein“ des örtlichen Arztes bekam. Nach einer kurzen Fiebermessung habe er einen Zettel erhalten, auf dem steht, dass er keinerlei Umgang mit Covid-19 Patienten gehabt habe. Obwohl es keine Beweise dafür gibt. Der Dorfarzt bestreitet, je einen solchen Zettel unterschrieben zu haben …

Was von den Vorwürfen stimmt und was nicht, dass muss die Staatsanwaltschaft herausfinden, die inzwischen ermittelt. Auch Schadensersatzforderungen gibt es bereits.

Die Doku zeigt jedenfalls, wie eng Wirtschaft und Politik in dem Alpenort miteinander verbunden sind. Einst war Ischgl ein armes Dorf, doch die 1963 fertiggestellte Seilbahn und die Touristen, die mit ihr kamen, machten es reich. Für seinen Vater Erwin Aloys habe es nur ein Thema gegeben, erzählt Günther Aloys: „Seilbahn, Seilbahn, Seilbahn.“  Die Gemeinderäte, allesamt Männer, arbeiten für die Seilbahnen. Viele sitzen im Aufsichtsrat, haben Aktien. Dividende bekommen sie keine. Alles wird wieder investiert. Darauf sind sie stolz. Das ist das Bild, das sie zeigen möchten.

„Da bin ich sicher nicht verantwortlich“

Wenn Touristen nicht mehr kämen, „hätte die Gesellschaft ein Problem“, dann „hätte sogar Wien ein Problem“, sagte der Bürgermeister Ischgls, , Werner Kurz (ÖVP), im Jänner. „Da haben wir genug Steuern gezahlt nach Wien. Es lebt Wien auch von uns uns, ganz Österreich“. Später wollte er nicht mehr so bereitwillig reden mit dem Journalisten aus Wien.

Kurz vor Fertigstellung der Doku rief Kurz den ORF-Journalisten doch noch zurück. „Schief gelaufen ist nichts“, sagte er. „Da bin ich sicher nicht verantwortlich.“ Das erinnert an den Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP), der in einem Interview mit der „ZiB 2“ immer wieder betonte, wie richtig alles gelaufen sei.

Dass Ischgl keine halblustige Posse oder unfreiwillige Fortsetzung der „Piefkesaga“ ist, machte ein Beitrag in dem ZDF-Politmagazin „Frontal 21“ am Dienstagabend deutlich. In dem Beitrag den Ski-Ort wurde aus der ORF-„Am Schauplatz“-Reportage zitiert. Auch deutsche Ischgl-Heimkehrer, die nach ihrem Urlaub selbst erkrankten, kamen zu Wort. Interviewt wurde auch die Witwe des 55-jährigen Programmierers Thomas H. aus Bochum. Er ist neun Tage nach seiner Rückkehr aus Ischgl am Coronavirus gestorben.

>> „Am Schauplatz"-Reportage „Ausnahmezustand in Ischgl"

>> Bericht im ZDF-Politmagazin „Frontal 21"

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