Lebensgeschichte

Schönborn, eine 100-Jährige

Georg Traska
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Die Mutter von Kardinal Christoph Schönborn ist bis heute wach und kritisch. Sie warnt vor Angst. Ihren 100. Geburtstag muss sie ohne ihre Familie feiern.

Die 100 Lebensjahre haben Eleonore Schönborn nichts anhaben können. Mit hellwachem Geist empfängt sie in Schruns im Montafon, wo sie seit 1950 lebt, ihre Gäste zum Interview. Um 16 Uhr, „weil um die Zeit bin ich immer daheim“, sagte sie bei der Terminvereinbarung. Das Gespräch findet am 11. März statt, die Coronavirus-Krise hat Mitteleuropa im Griff, aber noch nicht so fest wie wenige Tage später: Besuche alter Menschen sind noch möglich, Österreichs Schulen und Grenzen noch offen.
Eleonore Schönborns Leben hat viel mit dem Überwinden von Grenzen zu tun. Als sie 1920 geboren wurde, lebte die Monarchie noch in den Köpfen der Menschen, waren Demokratien etwas Neuartiges in Europa. Sie erlebte die Annexion der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten, einen Weltkrieg und eine totalitäre Diktatur. 1945 musste Eleonore Schönborn wegen ihrer Volkszugehörigkeit die nordtschechische Heimat verlassen – für sie das prägendste Erlebnis, als „absolute Nazi-Gegnerin“ hatte sie nicht damit gerechnet.
Schönborns Familie war der Tschechoslowakei gegenüber loyal gewesen, distanzierte sich entschieden von allem Deutschnationalen. Eleonore und ihre Geschwister sprachen perfekt Tschechisch. Im Krieg hatte sie den Maler und Großgrundbesitzer Hugo-Damian Schönborn geheiratet, „mit der Aussicht auf ein schönes Leben“: Eine Existenz aufzubauen im Schloss Skalka bei Leitmeritz, das war der Lebensplan gewesen, den die Benes-Dekrete zunichte machten.
Über ihr „erstes“ Leben in der Tschechoslowakei erzählte Schönborn vor fünf Jahren auch in einem Videointerview für eine Ausstellung im Wiener Volkskundemuseum. Die von Georg Traska kuratierte Ausstellung thematisierte 2016 die NS-Zeit in der Tschechoslowakei und die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg und könnte, sagt Georg Traka, demnächst auch als Online-Aussstellung verfügbar sein. Bis heute ist Schönborn „allergisch auf alles, was in die Nähe von Nationalismus kommt, das kann nur gefährlich werden.“ Noch im Vorjahr äußerte sie Kritik zur Asylpolitik.
In Österreich, wo Schönborn zunächst ohne ihren Mann mit zwei kleinen Kindern gelandet war, verschlug es sie nach einer Odyssee letztlich nach Vorarlberg. „Da mein Mann nach einigen Jahren noch immer nicht gesund war, habe ich gesagt, ich muss arbeiten gehen“, erinnert sie sich. Bei der Textilfirma Getzner in Bludenz fand sie eine Stelle als Chefsekretärin. „Das war mutig vom damaligen Geschäftsführer, denn immerhin hatte ich außer der Matura keine Ausbildung.“

Späte Ankunft in Schruns

Im konservativen Vorarlberg der 1950er-Jahre, noch dazu im kleinen Schruns, war eine zunächst alleinverdienende, später geschiedene Frau mit schließlich vier Kindern das Gegenteil der Norm. Die Schrunser Bevölkerung hatte durchaus auch Vorbehalte. Eleonore Schönborn sagt, sie habe davon nicht viel gespürt, weil sie den ganzen Tag bei der Arbeit war. Die Kinder aber hätten am Anfang ein bisschen gelitten, weil man sie spüren ließ, dass sie fremd waren. „Mein Ältester hat sich nichts gefallen lassen, der war groß und stark und hat ausgeteilt und war bei den schlimmen Buben schnell integriert. Und der zweite, der jetzt in Wien Kardinal ist, der hat die kleine Schwester immer an der Hand genommen, und dann sind sie gelaufen.“
So richtig angekommen im Ort ist Eleonore Schönborn erst in der Pension. Da begann sie sich politisch bei der Schrunser Ortspartei zu engagieren, die als Gegengewicht zur konservativen Politik der 1950er-Jahre gegründet wurde. Weil alles so bäuerlich und so gegen jeglichen Fortschritt gewesen sei, sagt sie. Sie war die erste Frau in der Schrunser Gemeindevertretung, gründete den örtlichen Krankenpflegeverein mit, gab das Pfarrblatt heraus, war Lektorin in der Kirche.
Kinder, Enkel und Urenkel Schönborns sind heute weit verstreut. Den ältesten Sohn, Philipp, habe es als Mechaniker und Fotograf in die ganze Welt getragen, Tochter Barbara nach Deutschland, England, Frankreich. Michael ist Schauspieler, Christoph ging gleich nach der Matura ins Kloster. „Zuerst hab ich geweint, ich sag's ehrlich, weil er in allen Lebenssituationen eine große Hilfe war. Priester, das hab ich gewusst, aber als er mir gesagt hat, er gehe ins Kloster, dachte ich, dass er für immer weg ist. Das war aber gar nicht so, im Gegenteil, ich hab' sehr viel von ihm gehabt, weil er seine Ferien immer mit mir verbracht hat.“
Dass alle Kinder gerne zurück nach Schruns kommen, ist ihr wichtig. Wohl auch und gerade jetzt, da ihre Bewegungsfähigkeit zuletzt stark gesunken, ihr Augenlicht nahezu erloschen ist. Das für Osterdienstag anlässlich ihres Geburtstags geplante Familientreffen hat das Coronavirus unmöglich gemacht. Schönborn verfolgt auch das. Die Wirtschaft, fürchtet sie, werde leiden, „infolge dessen werden Maßnahmen für den Umweltschutz nicht durchgesetzt, weil kein Geld da ist. Wir leben im Ungewissen“, sagt sie, „aber eines ist sicher: Ich warne vor Angst, Angst ist ein schlechter Lehrmeister.“ (APA/kap/tes)

Eleonore Schönborn wurde als Freiin von Doblhof 1920 als jüngstes Kind einer u. a. in der Zuckerproduktion tätigen Adelsfamilie geboren und wuchs in Ratschit bei Wischau/Vyškov auf. Sie heiratet den Maler Hugo-Damian Schönborn, der an der Westfront desertiert. 1945 muss sie mit zwei kleinen Kindern nach Österreich fliehen. Sie findet eine Stelle in Schruns und baut sich dort eine neue Existenz auf. Die Ausstellung „Vertriebene und Verbliebene erzählen. Tschechoslowakei 1937-1948“ soll demnächst online zugänglich werden. Am 14. April feiert sie ihren 100. Geburtstag.

https://www.youtube.com/watch?v=1CaDap07vqs

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