„Die Pest“

Der Corona-Roman, der von einem Toten kommt

„Die Pest“ schöpft auch aus der Résistance-Erfahrung: Camus 1955 in Paris, zwei Jahre vor dem Nobelpreis, fünf Jahre vor seinem Tod bei einem Autounfall.
„Die Pest“ schöpft auch aus der Résistance-Erfahrung: Camus 1955 in Paris, zwei Jahre vor dem Nobelpreis, fünf Jahre vor seinem Tod bei einem Autounfall.(c) The LIFE Picture Collection via Getty Images (Loomis Dean)
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Alle Welt liest jetzt „Die Pest“, ab heute auch österreichische Prominente von Ambros bis Jelinek - der Grund dafür ist paradox: Warum Camus' Schreckensszenario über die endlose Epidemie so hilft.

Nach dem Atomunfall 2011 in Fukushima war unter den viel verkauften Büchern in Japan ein europäischer Roman: „Die Pest“. Was fanden die Leser in der Geschichte wieder? Etwas in der verseuchten Luft Liegendes jedenfalls, nicht nur biologisch; die Stimmung einer lang anhaltenden Katastrophe; Angst, die die Menschen vereinzelt – und verbindet.
Es ist leicht, Camus' Pest als Bild für Heimsuchungen aller Art zu lesen, bis hin zur Heimsuchung, die das Leben selbst ist. Camus wählte eine realitätsferne, weil ausgestorbene Seuche, um mehr als eine Seuche darzustellen; einen Arzt, um mehr als einen Arzt darzustellen. Krankheitsbeschreibungen kommen vor, Vorgänge wie die Triage, zu Spitälern mutierte Stadien, die Suche nach einem Impfstoff – aber nicht mehr als unbedingt nötig. Was hätte Camus wohl dazu gesagt, dass der Roman heute zur Blaupause für eine reale Pandemie wird?

Katzen schießen, Erbsen zählen

Gewundert hätte er sich wohl nicht – das Unsinnigste ist bei ihm das Realste. Der in „Die Pest“ als Chronist auftretende Tarrou, der „das getreueste Bild des damaligen Lebens abgibt“, notiert fast nur seltsame Details. Die Pfefferminzplättchen, die aus den Apotheken verschwunden sind, weil sich Leute Schutz davon erhoffen. Der Alte, der schon vor der Pest auf Katzen schießt und immer trauriger wird, als sie wegbleiben, getötet oder erschreckt. Der Mann, der schon vor der Pest beschlossen hat, nicht mehr aufzustehen, und die Tage füllt, indem er Erbsen von einem Topf in den anderen füllt („Alle 15 Töpfe muss ich etwas zu beißen haben“). Unsere Gegenwart dürfte den Autor nicht allzu sehr verwundern.

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