Buchbesprechung

Simone Hirth: Daheim allein mit Kind

Simone Hirth zählt zu den interessanten neuen Stimmen in der deutschen Literatur.
Simone Hirth zählt zu den interessanten neuen Stimmen in der deutschen Literatur.(c) Alex Gotter
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Simone Hirth erzählt in ihrem Briefroman von einer Schriftstellerin, die durch die Mutterschaft in ihrer Kreativität eingeschränkt wird und nur noch Zeit für kurze Briefe hat.

„Das Loch“ heißt der dritte Roman von Simone Hirth: Einsam mit einem Kind in den eigenen vier Wänden eingesperrt – das klingt nach einem Text über die Coronakrise, über das Loch, in das nun viele gefallen sind. Ist es aber nicht. Vielmehr ist es die Geschichte einer jungen Frau, die mit ihrem Mann auf dem Land lebt und ein Kind bekommen hat. Die erzwungene Isolation treibt sie in eine postpartale Depression, die eben mehr ist als der bloße Babyblues, der nach ein paar Tagen verschwindet. Ihre Nöte schreibt sie sich in Briefen von der Seele.

Ein Briefroman also und ja, die Frau schreibt Briefe, keine E-Mails oder Twittermeldungen, was uns heute seltsam anachronistisch anmutet. Warum Briefe? Weil das Schreiben ihr am meisten fehlt, wie die Ich-Erzählerin zu Beginn des Romans erklärt, mehr noch als das Sprechen. Und weil in Briefen das Pathos einen Platz hat. Nachvollziehbar. Gerade in diesen ersten Jahren des Kindes scheint alles bedeutungsschwanger, werden Kleinigkeiten als Omen interpretiert. Henriette, so heißt die junge Frau, fürchtet sich nicht vor dem Pathos und findet Linderung in den Wörtern. Sie ist Schriftstellerin. So wie Simone Hirth, die ebenfalls ein Kind hat und auf dem Land lebt.

Keine Autobiografie. Das Buch schildert aber nicht das Leben der Autorin, wie Hirth betont, die Figuren sind erfunden. Das explizit festzuhalten ist notwendig. Tatsächlich werden Romane in der Nähe der Lebenssituation ihrer Autoren oft als Autobiografie missverstanden. In jüngster Zeit sind kritische Bücher über Mutterschaft erschienen, die sich als autobiografisch ausweisen, etwa Antonia Baums literarischer Essay „Stillleben“ oder Helen Walshs Roman „Ich will schlafen“. Doch Fiktion ist nicht das reale Leben. In jedes Buch fließt zwar Autobiografisches ein – worüber sollten Autoren schreiben, wenn nicht über Gefühlszustände und Erfahrungen, die sie selbst gemacht haben? Doch es sind Auszüge des Lebens, verdichtet und verfremdet, an die literarische Figur angepasst.

Jeder der Briefe hat einen Adressaten: Jesus, Mohammed oder die Frauenministerin. Alle diese Adressaten erfahren etwas über jenen Ausschnitt, der für sie interessant ist. So wird mit Jesus oder Mohammed über Religiöses gesprochen. Henriette will Antworten, aber auch Trost, obwohl sie nicht an eine festgezimmerte Religion glaubt.

Die Mutterfalle. Auch das Private, das eben nicht privat ist, sondern gesellschaftlich relevant, hat viel Platz: die Beziehung zu ihrem Mann, der die junge Frau permanent allein lässt. Oder das erste Krabbeln des Kindes, das die Mutter versäumt, weil sie gerade da auf einer Buchmesse steht. Sofort hat sie ein schlechtes Gewissen, tappt in die bekannte Falle, die da lautet: Sei überall und jederzeit die fürsorgliche Mutter und gleichzeitig erfolgreich, aktiv und natürlich selbstständig.

Mit ihrem Debütroman, „Lied über die geeignete Stelle für eine Notunterkunft“, hat sich Simone Hirth als interessante neue Stimme der Literatur präsentiert. Auch dieser Roman ist eine Sammlung origineller Gedanken und Ideen. Hirth gelingt es, in kurzen Briefen das Paradoxon des Mutterseins zu schildern: dauernd beschäftigt, keinen Moment für sich zu sein und trotzdem einsam. Manchmal aber hat man den Eindruck, dass man das schon kennt.

(c) Kremayr & Scheriau

Neu Erschienen

Simone Hirth
„Das Loch“

Kremayr & Scheriau, 268 Seiten, 22,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2020)

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