Zehn vom FBI ertappte russische Spione wurden gegen vier in Russland verurteilte US-Informanten getauscht. Die russischen Dienste sind so aktiv in westlichen Staaten wie zu Zeiten der Sowjetunion.
WIEN. Eineinhalb Stunden parkten die russische Jak-42 und die amerikanische Boeing-767 nebeneinander vor der Baustelle des Skylink-Gebäudes auf dem Flughafen Wien-Schwechat. Zwischen den beiden Jets verkehrte ein schwarzer Van, in dem Passagiere hin- und hergeführt wurden. Dann hoben die beiden Maschinen wieder ab – der spektakulärste Agentenaustausch der jüngeren Geschichte der Ost-West-Spionage war in Wien zu einem Abschluss gekommen: zehn von der amerikanischen Spionageabwehr ertappte russische Agenten gegen vier in ihrer Heimat wegen Spionage für die USA verurteilte russische Bürger.
Die jüngste amerikanisch-russische Spionageaffäre bleibt in vielerlei Hinsicht ein Rätsel – auch, weil die offiziellen Informationen aus Moskau und Washington zu dem Fall mehr als spärlich sind. Sicher scheint aber: Der Anfang vergangener Woche in den USA ausgehobene russische Spionagering hat während seiner mehrjährigen Schnüffelaktivitäten der Sicherheit Amerikas kaum Schaden zugefügt. Als „Hobby-“, „Wochenend-“ oder „Vorortespione“ beurteilten aktive und ehemalige CIA- und KGB-„Aufklärer“ die Gruppe und spotteten über ihre „mangelnde Professionalität“.
Klassischer Auftrag
Dabei hatten die elf aufgeflogenen Mitarbeiter des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR einen geradezu klassischen Auftrag: die amerikanische politische und wissenschaftliche Elite zu infiltrieren, diese Leute über Trends und Tendenzen in der US-Politik auszuhorchen. Nur, sagen Geheimdienstexperten: Die meisten der Informationen, die der Ring geliefert habe, hätte die Moskauer Zentrale auch in der „Washington Post“ oder „New York Times“ nachlesen können.
Historisch gehören die sowjetisch/russischen Nachrichtendienste gewiss zu den besten der Welt – aber darf man die russischen Spione nach dem jüngsten Eklat ruhig etwas gelassener beurteilen? Ganz und gar nicht, sagen die mit der Spionageabwehr befassten Dienste in wichtigen westlichen Staaten, sie berichten genau vom Gegenteil. Spätestens seit dem Amtsantritt des früheren KGB-Offiziers Wladimir Putin als Präsident, 2000, gebe es einen regelrechten Boom in der russischen Spionagetätigkeit im Ausland. „Seit die Sowjetunion kollabiert ist, sind die USA zwar nicht mehr der Hauptfeind der Moskauer Spionagedienste, dafür haben sie uns zu ihrem Hauptziel erklärt“, sagte ein US-Geheimdienstler dem „Wall Street Journal“.
Der britische Spionageabwehrdienst MI5 schreibt auf seiner Homepage: „Die Zahl der russischen Geheimdienstler in London ist so hoch wie zu sowjetischen Zeiten.“ Weiter heißt es da: „Die russischen und chinesischen Nachrichtendienste sind besonders aktiv und geben derzeit zur größten Besorgnis Anlass.“
Genau dies hatte bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichts 2009 vor drei Wochen auch der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere erklärt. Besonders Staaten wie Russland und China betrieben mit ihren Nachrichtendiensten „aktiv Spionage in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung“. Ja selbst im österreichischen Verfassungsschutzbericht 2010 wird beklagt, dass die „Repräsentanz ausländischer Nachrichtendienstoffiziere auf österreichischem Staatsgebiet nach wie vor überproportional hoch ist“. Das österreichische Hoheitsgebiet sei dabei nicht nur „Operationsgebiet für fremde Nachrichtendienste gegen Drittstaaten, sondern auch ein wichtiges Ziel für nachrichtendienstliche Ausspähung zum Nachteil Österreichs“. Die Nennung konkreter Staaten wird in dem Bericht diskret verschwiegen, nur ein Mal ist von „besonders aktiven (fern-)östlichen Diensten“ die Rede.
Was Spione wissen wollen
Nur, was wollen die Spione heute in anderen Staaten überhaupt in Erfahrung bringen – abgesehen von Informationen über politische, wirtschaftliche oder militärische Vorhaben und Strategien anderer Staaten? Die Briten sind auch hier konkret: Russland sei besonders an Informationen über die Energiepolitik des Westens interessiert. Und: „Neue Kommunikationstechnologien, Informationstechnologien, Gentechnologie, Luftfahrt, Laser, Optik, Elektronik und andere Bereiche stehen heute im Mittelpunkt des Interesses der Geheimdienste. Deshalb sind kommerzielle Unternehmen heute viel mehr ein Ziel der Dienste als in der Vergangenheit.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2010)