Archäologie

Eine militärische Quarantänestation an der Bernsteinstraße

3-D-Visualisierung eines römischen Heeresspitals (valetudinarium) Foto: 7reasons
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Das Lazarett eines nie fertig gebauten Lagers der römischen Legio II Italica kurz vorm Trojanepass diente zur Zeit der Antoninischen Pest auch als Spital für die Bevölkerung und Durchreisende. Das fanden österreichische Wissenschaftler mit geophysikalischen Messungen heraus.

Schon während seiner Untersuchungen zu einer römischen Meeresvilla beim slowenischen Jachthafen Izola liebäugelte Stefan Groh mit einem weiteren archäologischen Hotspot in unserem Nachbarland, dem Militärlager der Legio II Italica in Ločica. „Es geisterten halb fertige Pläne davon in der Wissenschaft herum, und ich wollte wissen, was es damit auf sich hatte“, sagt der Archäologe vom Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zehn Jahre später hatte Groh das Rätsel des Lagers an der Bernsteinstraße tatsächlich gelöst.

Lazarett wurde zuerst gebaut

Wir befinden uns etwa im Jahr 170, Kaiser des Römischen Reiches ist Mark Aurel, der dieses nach einer längeren Friedensperiode gleich an mehreren Fronten gegen Feinde verteidigen muss. Hinzu kommt eine verheerende Seuche: die Antoninische Pest, die besonders unter Soldaten wütet. Sie folgt den Handelsrouten, auf denen diese zu ihren Lagern reisen. Durch ihre lange Inkubationszeit wird die Antoninische Pest im gesamten Mittelmeerraum verbreitet. Auf der Bernsteinstraße gibt es eine bedeutende Engstelle, die jeder auf dem Weg von und nach Rom passieren muss: das eingangs erwähnte Ločica im heutigen Slowenien. An diesem neuralgischen Punkt, von dem aus man über den Trojanepass Richtung Süden gelangt, lässt Mark Aurel ein Militärlager für eine neu ausgehobene Legion (Legio II Italica) bauen.

Dort führte Groh nun mit seinem Team geophysikalische Messungen mit Radar und Magnetik durch und förderte damit Erstaunliches über die Funktion des – wie sich herausstellte – nie fertig gestellten Lagers zutage. Es war für 6000 Leute konzipiert, Mannschaftsunterkünfte gab es aber lediglich für 1500 Soldaten – und nicht einmal die waren fertig. „Wir fanden ein Kanalsystem, das ins Nichts führte, und Mannschaftsunterkünfte, in denen keine Öfen waren“, so Groh. „Interessanterweise war das Valetudinarium, das Spital, um 20 Prozent größer als in anderen funktionierenden Lagern.“ Das ist für den Archäologen ein Hinweis darauf, dass das Lazarett in der Hierarchie der Bauten an erster Stelle stand: „Es wurde zuerst fertiggestellt. Von Grabungen slowenischer Kollegen wissen wir, dass es Türschwellen, Böden, Einrichtungen gab. Hinzu kommt: Das Heeresspital war mit über 8000 Quadratmetern immens groß. Man muss sich fragen, wieso.“

Legionslager Ločica  - ÖAW/ÖAI - Helga Sedlmayer
Legionslager Ločica - ÖAW/ÖAI - Helga SedlmayerÖAW/ÖAI - Helga Sedlmayer

Neben dem Spital befand sich zudem ein ebenfalls vergleichsweise überdimensionierter Speicher für Getreide. Groh: „Das Lager wurde genau zu der Zeit errichtet, in der die Epidemie in unserer Region losgeschlagen hat.“ Die Schlussfolgerung liegt nahe: Das zum Schutz von Italien geplante Lager wurde noch in seiner Bauzeit in ein Seuchenkrankenhaus und eine Quarantänestation sowohl für die Soldaten und die Bevölkerung der benachbarten Stadt Celje als auch für Durchreisende umgewandelt. „Es gab insgesamt 68 Zimmer, in denen insgesamt 500 Kranke versorgt werden konnten“, berichtet Groh. „Außerdem eine kleine Badeanlage.“

Lexikon

Die Antoninische Pest wütete von 165 bis 185 n. Chr. – es handelte sich dabei vermutlich nicht um die Pest, sondern um eine Pocken- oder Masernepidemie. Über das lokale Ausmaß der Krankheit lassen u. a. ägyptische Steuerlisten Rückschlüsse zu: Demnach muss man in einigen Dörfern in Unterägypten von einem Bevölkerungsrückgang um 70 bis 90 Prozent ausgehen. Aus Rom berichtet der Geschichtsschreiber und Senator Cassius Dio, dass jeder vierte Erkrankte verstorben sei.

Die Legio II Italica selbst wurde später an die Donau nach Enns in Oberösterreich versetzt, um dort von einem neuen, fertig gebauten Lager aus den Feldzug gegen die Germanen zu führen. Hier blieben die römischen Soldaten auch schließlich bis ins 5. Jahrhundert. Zum Vergleich: Das dortige Lazarett ist trotz Vollbetriebs des Lagers um 20 Prozent kleiner als jenes in Ločica.

Über 20 Jahre dauerte das von der Antoninischen Pest ausgelöste Massensterben, die Mortalitätsrate lag bei rund 25 Prozent. „Oft ist einem als Wissenschaftler nicht so klar, was das, was man findet, für die Menschen bedeutet hat“, meint Groh. Jetzt erlebe er das hautnah, und die Aktualität erschrecke ihn. Die Zahlen von damals wirken angesichts der Situation im Jetzt ganz anders.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2020)

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