Die Ich-Pleite

Die Eltern und das Ausgehverbot

(c) Carolina Frank
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Kaum schaue man nicht hin, spazierten sie schon in der Stadt herum.

Beim letzten "Café Digitali" mit meinen Freundinnen höre ich nur Klagen über deren Eltern. Man müsse auf sie aufpassen wie auf einen Sack voller Flöhe, sagen sie. Kaum schaue man nicht hin, spazierten sie schon in der Stadt herum. "Meine Mama geht jeden Tag auf den Markt Gemüse einkaufen", erzählt meine Freundin Eva. "Aber vorbeibringen darf ich ihr dafür nichts, damit ich sie nicht anstecke!" Sie verdreht die Augen. Da bin ich mit meinen Eltern eigentlich viel besser dran. Zu Beginn der Coronakrise haben wir sie doch ein bisschen überreden müssen. Aber jetzt bleiben sie brav daheim. Meine Freundinnen beneiden mich. Die große Tiroler Lebensmittelkette liefert den Eltern alle Einkäufe ins Haus. Einmal pro Woche nehme ich telefonisch ihre Bestellungen auf: 2 kg Kartoffeln,  2 kg Äpfel, 1 kg Karotten, 1 kg Orangen, 1Kopfsalat, 3 Viertel Butter, 2 x Camembert, 3 x Ungarische Salami, 1Sonnenblumenöl, 2 Tee packungen "Träum Schön". "Das ist alles?", frage ich behutsam nach. "Fleisch braucht ihr keines?" "Nein der Gefrierschrank ist bis oben hin voll", sagt meine Mama. Aus ihr sprechen jahrtausendelange Erfahrungen in bäuerlicher Vorratshaltung. "Und Gemüse?", frage ich skeptisch. "Ist auch noch genug da", erwidert meine Mutter wie aus der Pistole geschossen. "Und was ist mit Brot?" Für eine Zehntelsekunde zögert meine Mutter. "Haben wir eingefroren!", sagt die Frau, von der ich das Notlügen gelernt habe. Ich mache eine lange Pause. "Okay", sagt meine Mutter kleinlaut, "der Papa geht hin und wieder zum Bäcker. Aber nur kurz rein und wieder heraus. Wenn er sowieso die Zeitung kauft und in der Apotheke Medikamente holt." Für so ein Verhalten hätte ich mindestens ein Ausgehverbot bekommen.

(Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 17.04.2020)

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