Brasilien

Jair Bolsonaros Angst vor einem kalten Putsch

APA/AFP
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Brasiliens Präsident Bolsonaro feuerte den populären Gesundheitsminister Mandetta und entschied den wochenlangen Machtkampf. Sein Krisenmanagement treibt ihn aber immer stärker in die Isolation.

„Die Brasilianer wissen nicht, ob sie auf den Gesundheitsminister oder auf den Präsidenten hören sollen“, erklärte Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta Anfang der Woche in einem TV-Interview – und besiegelte so sein Schicksal. Tagelang lag sein Rücktritt in der Luft, und am Donnerstagabend zog Jair Bolsonaro die Konsequenzen. Der wochenlang schwelende Machtkampf in der Coronakrise zwischen dem Präsidenten und seinem Minister war entschieden.

Am Donnerstagabend überreichte der Präsident ihm das Rücktrittsschreiben und nominierte den Onkologen Nelson Teich zum Nachfolger des Orthopäden und früheren Militärarzts. Am Ende verlor Mandetta auch den Rückhalt des Militärs und einiger mächtiger Minister, die seinen Rücktritt mehrmals verhindert und sich gegen Bolsonaro gestellt hatten. In Brasilia war bereits die Rede von einem „stillen Putsch“. Bolsonaro wirft dem Kongress und einigen Gouverneuren vor, einen kalten Staatsstreich zu planen. Angeblich gilt der 65-Jährige als labil, seine Paranoia scheint jedenfalls ausgepägt.

„Bolsonaro raus“

Als Zeichen des Protests schlugen viele abends in Sao Paolo und Rio de Janeiro bei offenen Fenstern und auf Balkonen umso lauter auf ihre Töpfe und Pfannen. „Bolsonaro raus“, skandierten sie. Sein erratisches Krisenmanagement hat den rechtspopulistischen Präsidenten in ein Umfragetief gestürzt. Bolsonaro findet nur noch die Zustimmung von 28 Prozent seiner Landsleute, während die Umfragedaten für Mandetta auf 68 Prozent geklettert sind. Die Pressekonferenzen haben Mandetta zum Polit-Star gemacht. Bolsonaro dagegen ist zunehmend isoliert. Die Opposition erwägt sogar schon ein Amtsenthebungsverfahren.

Brasilien führt die Statistik der Corona-Epidemie in Südamerika mit rund 2000 Toten bei 30.000 Infizierten an – und die Dunkelziffer der Infizierten in dem 210-Millionen-Einwohnerland ist laut einer Studie zwölf Mal so hoch.

„Hysterie“ um „kleine Grippe"

Die Gouverneure in Sao Paolo und Rio de Janeiro, viele indigene Völker und Gangbosse in den Favelas haben längst Ausgangssperren verhängt. Mandetta suchte auch die Absprache mit den Bossen der Armutsviertel, um eine explosionsartige Ausbreitung in den gedrängten Favelas zu vereiteln. Bolsonaro verharmloste die Epidemie indes als „kleine Grippe“, warnte vor einer Hysterie und konterkarierte die Quarantänebestimmungen mit Auftritten auf Märkten und in Bäckereien.

Ähnlich wie Donald Trump argumentierte er, die Nebenwirkungen der Heilung könnten nicht schlimmer sein als die Krankheit selbst. Wie der US-Präsident plädierte er für eine rasche Öffnung der Wirtschaft und eine Rückkehr zur Normalität. Ansonsten könnte Brasilien in den Bankrott schlittern und zum „zweiten Venezuela“ werden. Und wie der US-Präsident, den er Anfang März in dessen „Winter White House“ in Florida besucht hatte, propagierte er gegen die Empfehlung seiner Experten ein Anti-Malaria-Mittel als vermeintliches Wundermittel.

„Trump der Tropen"

Eine Reihe seiner Mitarbeiter, darunter sein Sicherheitsberater, der Kommunikationschef und der brasilianische Botschafter in Washington, kehren im Übrigen infiziert aus Florida zurück. Der Gleichklang mit dem US-Präsidenten ist nicht zufällig: Er ist erklärtes Vorbild für den „Trump der Tropen“ mit dem Faible für das Militär.

Der Höhepunkt der Epidemie ist für Brasilien erst im Mai oder im Juni angesagt, dem brasilianischen Winter. Schon jetzt ist aber das Gesundheitssystem am Anschlag: 95 Prozent der Betten auf den Intensivstationen sind belegt, Knappheit herrscht auch bei den Beatmungsgeräten. Längst schon haben Bürgermeister in den Großstädten Notlazarette errichtet - wie im Areal rund um das Maracana-Stadion in Rio.

„Gott ist Brasilianer"

„Einige werden sterben. So ist das Leben“, meinte Jair Bolsonaro. Die wärmeren Temperaturen würden das Virus schon töten, lautete zunächst seine Hoffnung. Zwischendurch sprach der Präsident allerdings von der „größten Herausforderung seiner Generation“. Vom neuen Gesundheitsminister ist vorerst kein Widerspruch zu erwarten. Er sei auf einer Wellenlänge mit dem Präsidenten, sagte Nelson Teich. Ohnehin vertraut Bolsonaro vor allem auf Hilfe von oben: „Gott ist Brasilianer.“

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