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„Betonrausch“: Netflix' biederer Betrugsexzess

Die Bankangestellte Nicole (Janina Uhse) erweist sich als noch durchtriebener als ihre kriminellen Verbündeten (l. David Kross, r. Frederick Lau).
Die Bankangestellte Nicole (Janina Uhse) erweist sich als noch durchtriebener als ihre kriminellen Verbündeten (l. David Kross, r. Frederick Lau). (c) Netflix
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In der Produktion „Betonrausch“ scheffeln David Kross und Frederick Lau Geld via Immobilienschwindel. Und hecheln „The Wolf of Wall Street“ hinterher.

Netflix baut aus, Corona hin oder her. „Glokalisierung“ lautet die Devise: Verankerung der globalen Marke im lokalen Bewusstsein mittels Einkauf, Herstellung und Finanzierung heimischer Produktionen. Österreich verdankt dieser Strategie unter anderem Marvin Krens Serie „Freud“, die Frucht einer Liaison zwischen Netflix und ORF. In Frankreich und Spanien hat der Streaming-Gigant bereits Fuß gefasst, jetzt ist Deutschland an der Reihe. Im Februar feierte die Klassenkluft-Teenieromanze „Isi & Ossi“ als erste deutsche Netflix-Produktion ihre Online-Premiere. Vergangenen Freitag folgte der zweite Streich: „Betonrausch“, ein Turbodrama über Immobilienbetrüger.

Die Handlung ist drastisch verknappt

Warum Turbo? Weil hier ein Genregarn in 90 Minuten abgespult wird, das gemeinhin viel mehr Zeit beansprucht. Mit erzählerischer Ökonomie hat das wenig zu tun, eher mit drastischer Story-Verknappung.

Das Ende steht gleich einmal am Anfang, dann folgt der Aufstieg vor dem Fall. Viktor (David Kross, der irgendwann Lars Eidinger beerben könnte, zumindest physiognomisch) ist neu in Berlin und will hoch hinaus. Nicht wie sein Vater in die Steuerschuldenfalle tappen, sondern gewinnen, dem eigenen Namen gemäß. Mit aufgesetztem Siegerlächeln, gefälschten Papieren und schickem Anzug least er eine Luxuswohnung und verpachtet sie gegen Bares an bulgarische Schwarzarbeiter. Bis die Polizei an der Tür klopft.

Die Untermieter ins Land gebracht hat Gerry (Frederick Lau). Auf der Flucht vor der Razzia reichen sich er und Viktor die Hand, um kurz darauf (hier geht alles ganz schnell) gemeinsame Sache zu machen: Gaunerei im großen Stil. Mit Charme, Grips und Tricks billig Ramschbuden abstauben, aufbrezeln, Kohle scheffeln – Verantwortung tragen die arglosen Käufer. Es klappt, auch dank Unterstützung der Bankangestellten Nicole (Janina Uhse), die sich als noch durchtriebener erweist als ihre Partners in Crime. Ein Weilchen leben sie in Saus und Braus. Doch jede Blase muss einmal platzen.

Als Netflix-typische Filmaufhänger dienen das lose Label der „wahren Geschichte“ und die politische Brisanz des Wohnungsmarktthemas. Werbung und Kritik ziehen indes Parallelen zu „The Wolf of Wall Street“. Ein Vergleich, der niemandem guttut, am wenigsten „Betonrausch“ selbst.

Während Martin Scorseses Börsenmaklerepos über drei Stunden lang auf Hochtouren fährt, hat diese müde Moritat kaum Pulver zu verschießen. Alles wirkt bieder und lasch: Die Hybris, die Partyexzesse, die Sozialkritik, sogar die Moralkeule. Viktor will gar nicht abheben, nur seine Familie glücklich machen. Am Schluss winken dafür Läuterung und Belohnung zugleich. Und: Hat Deutschland überhaupt Kulissen für so eine Geschichte? Der Potsdamer Platz bietet selbst im Zeitraffer keine verheißende Skyline. Vielleicht häufen sich deswegen lustlose Erklär- und Dialogszenen in Innenräumen.

Lau als geerdetes Schlitzohr

Dass „Betonrausch“ nicht versandet, ist vornehmlich den Darstellern zu verdanken. Kross schenkt dem Geschehen ein bisschen Gewicht, Uhse macht ihre Partner resolut zur Schnecke. Auch Nebenrollen haben Witz. Für den Charakter sorgt Lau, der schon in „Ummah – Unter Freunden“ mit Regisseur Cüneyt Kaya drehte. Der gebürtige Berliner zählt neben Franz Rogowski zu den markantesten Männern des jüngeren deutschen Films. Hier sieht man ihn mit seiner gängigsten Charaktermaske. Ein Schlitzohr, überspannt und doch geerdet, mit Hinterhof-Chuzpe und Hang zum saloppen Idiom („Pack ein det Ding!“). Die Arme stets auf rastloser Tuchfühlung: Haare zausend, Schenkel klopfend, Backen tatschend. Wobei: Dank seidiger Sandpapierstimme und sensibler Bärenvisage braucht Lau gar keine Gliedmaßen, um zu überzeugen. Er darf am weitesten über die Stränge schlagen, trinkt Champagner aus der Flasche. Und ist letztlich doch der Bodenständigste, weil weniger verbissen. Sympathisch. Doch der Film bleibt trotzdem mehr Dusel als Rausch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2020)

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