Hilfe in der Krise

Wenn die psychische Pandemie anrückt

(c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)
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Gewalt, Alkoholmissbrauch, Depressionen: Die Stadt Wien rechnet mit einer Zunahme von psychosozialen Belastungen. Eine Sorgen-Hotline soll eine erste Abhilfe schaffen.

Wien rechnet mit einer nächsten Pandemie - und das, obwohl die Fallzahlen der Corona-Infektionen zurückgehen, die ersten Lockerungen in Kraft sind. „Nach der viralen Pandemie folgt die psychische Pandemie“, das wisse man aus internationalen Daten, sagte Georg Psota, Leiter der Psychosozialen Dienste Wiens am Montag. Deswegen hat die Stadt nun eine „Corona-Sorgenhotline" ins Leben gerufen. Sie ist seit Montag unter 01 4000 53000 (täglich, 08 bis 20 Uhr) erreichbar.

Eine weitere Hotline also ist die erste Maßnahme des Anfang April von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker ins Leben gerufenen psychosozialen Krisenstabs, der die Stadt beratend begleiten und die psychische Gesundheit der Bevölkerung sicherstellen soll. Besonders an der Wiener Nummer sei, dass sie sowohl auf die psychischen als auch die sozialen Aspekte der Pandemie fokussiere. Es gehöre mittlerweile zum internationalen Standard, eine solche Hotline einzurichten, erklärte Psota, Leiter des Krisenstabs. Vor allem in der Großstadt sei ein solches Angebot wichtig: Soziale Netze sind oft weniger stark ausgeprägt als am Land, die räumliche Enge verschärfe die Lage zusätzlich.

Von existenziellen Sorgen, Einsamkeit, Überforderung bis hin zu manifesten psychischen Erkrankungen und einer Zunahme an Suiziden: Es sind „massive Folgen, mit denen in der Stadt gerechnet wird. Ein großes Thema sei der Alkohol, sagte Krisenstab-Mitglied Michael Musalek, ärztlicher Leiter der Suchtklinik Anton Proksch Institut. „Alkohol ist die angstlösende Substanz schlechthin und wird schon jetzt dementsprechend breit eingesetzt.“ Auch Menschen ohne Suchterkrankungen laufen in der Krise Gefahr, zum übermäßigen Trinken verleitet zu werden. Depressionen oder Antriebsstörungen können eine Folge sein, erklärte Musalek.

Gewalt nimmt zu

Durch die Ausgangsbeschränkungen komme es unweigerlich zu mehr Konflikten: Bei der häuslichen Gewalt rechnet Musalek „in jedem Fall“ mit einer Zunahme. „Der Mensch wird immer dann aggressiv, wenn er überfordert ist.“ Im Gegenteil zu bisherigen Stellungnahmen der Polizei habe man „deutliche Hinweise“, etwa vom Wiener Frauennotruf, dass die Gewalt substantiell gestiegen ist, bestätigte auch Psota: „Auch wenn keine Anzeigen gestellt werden, heißt das nicht, dass die Gewalt nicht steigt.“ Hier hofft man, dass die Hotline als niederschwelliges Angebot greift und Frauen ihre Probleme besprechen können, „ohne dass gleich eine ganze Polizeitruppe kommt.“

Wobei man zwar erste Sorgen im Gespräch abfangen will, aber je nach Problem an die verschiedenen Hilfsangebote und Stellen weiterleiten werde. „Es sind Profis am Ende der Leitung: Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter“, erklärt Psota.

Noch niederschwelliger soll eine Chatberatung sein, die man ebenfalls bald zur Verfügung stellen will. Man hofft, so gerade auch die jüngere Bevölkerung zu erreichen. Eine weitere Zielgruppe sind Personen im Gesundheitswesen: Sie managen derzeit die Krise, die eigenen Sorgen und Belastungen werden in den Hintergrund gedrängt. Dass die aber irgendwann zum Vorschein treten, ist man sich im Krisenstab einig. Interne Hilfsangebote in den Krankenhäusern selbst werden aufgrund der Nähe zu den Kollegen nicht oft angenommen. Die externe Hotline soll mehr Distanz bieten.

Soziale Nähe, nicht Distanz

Insgesamt erhofft man sich mit der Hotline auch indirekt zur Bekämpfung der Coronapandemie beizutragen. Neben Medikamenten und einer guten Ernährung stärke auch eine starke Psyche das Immunsystem: „Genauso wichtig wie 'Testen, testen, testen' ist es, Schönes ins Leben zu bringen.“ Den Terminus „soziale Distanzierung“ hält Musalek für missglückt. „Es geht um eine körperliche Distanz. Aber wir brauchen psychosoziale Nähe und Wärme.“

Kontakte

Corona-Sorgenhotline: 01 4000 53000 (8.00 bis 20.00 Uhr)

Andere Hotlines, die rund um die Uhr erreichbar sind:

Telefonseelsorge: 142
Rat auf Draht (für Kinder und Jugendliche): 147
Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01/31330

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