Die Kanzlerin drängt in schriller Wortwahl, es mit den Lockerungen in den Bundesländern nicht zu übertreiben. Von Zoos, Eisverkäufern, Maturanten, Gotteshäusern und Masken.
Berlin. Am Montag hat sich Deutschland vorsichtig an die „neue Normalität“ herangetastet, wie das Regierende in Berlin (und Wien) nennen. In vielen, nicht in allen, Bundesländern öffneten Läden mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern. Da und dort gingen die Erleichterungen noch weiter. Jedenfalls wurde erstmals nach vier Wochen die Handbremse sanft gelockert. Und inmitten dieser neuen Entspannungsphase platzte die Kanzlerin mit einer schrill formulierten Warnung, die vielleicht in späteren Biografien über Angela Merkel auftauchen könnte. In einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums beschwerte sie sich über „Öffnungsdiskussions-Orgien“ der Bundesländer.
Wie üblich sickerte das Gesagte in der CDU-Führungsriege nach außen. Merkel kennt das Spiel. Sie ist seit knapp 15 Jahren Kanzlerin. Und bald regte sich Protest, zumal die Deutschen viel auf ihre demokratische Diskussionskultur geben, die sie bisher gut durch die Krise gebracht hat. Erste Kommentatoren unterstellten Merkel, mit dem Wort „Orgien“ nötige Debatten abwürgen zu wollen, wie sie das früher mit der Beschreibung ihrer Politik als „alternativlos“ getan habe. „Die Kanzlerin vergreift sich im Ton“, meinten FDP-Vertreter, die darauf hinwiesen, dass Infektionsschutz Ländersache und das Nachdenken über Öffnungen geboten sei.
Merkel erklärte sich später öffentlich. Demnach treibt sie die Sorge um, dass Deutschland „sehenden Auges“ einen Rückfall bei der Bekämpfung der Seuche riskieren könnte. Und das wäre „jammerschade“. Auch ein neuerlicher Shutdown wäre dann möglich. Merkel fürchtet, dass die „trügerische“ Situation zu Leichtsinn anstiftet. Sie mahnt dazu, nun einmal die Auswirkungen der erst am Montag in Kraft getretenen Lockerungen auf die Infektionszahlen abzuwarten. Und das dauert „14 Tage“.