Gedanken und Gebete für die "Helden der Pandemie"

Gegen die Scheinheiligkeit, etwas demonstrativ zu bedauern, an dessen Ursachen man nicht zu rütteln gewillt ist, sind wir Europäer nicht gefeit.

Thoughts and prayers: in den viereinhalb Jahren, die ich als Berichterstatter in den Vereinigten Staaten arbeitete, ist mir kaum eine andere Floskel so sehr widerwärtig geworden wie diese. Denn „Gedanken und Gebete“, das war nach jedem Massenmord mit Schusswaffen die beinahe reflexhafte Antwort all jener, die angesichts der entsetzlichen Nachrichten aus Schulen, Einkaufszentren, Gotteshäusern, Diskotheken zwar öffentlich ihre Betroffenheit kund tun wollen, zugleich aber nichts an der einzigen wesentlichen Ursache dieses ungebremsten amerikanischen Gewaltphänomens zu ändern gewillt waren, nämlich dem Umstand, dass es zu viele Schießeisen in den USA gibt.


Gegen diese Art der Scheinheiligkeit, etwas demonstrativ zu bedauern, an dessen Ursachen man aber nicht zu rütteln gewillt ist, sind wir Europäer auch nicht gefeit. Ich meine damit die nun allseits zu hörenden und lesenden Tribute an Krankenpfleger, Briefträger, Müllmänner, Putzfrauen, Supermarktkassiererinnen. Denen wird nun ja gerne aus dem Home Office der gehobenen Mittelklasse für ihren Einsatz im Schatten der Pandemie gedankt. Jedes Mal frage ich mich: seid Ihr auch dafür, dass all diese „Helden der Pandemie“ künftig auch nur annähernd so viel verdienen wie wir White-Collar-Arbeitnehmer? Dass das vom Boten beförderte Abendessen vom Thairestaurant zehn Euro mehr kostet, damit der Bursche oder das Mädel auf dem Rad oder Moped einen anständigen Stundenlohn kassiert und ordentlich sozialversichert ist? Oder steckt hinter dieser Heldenverehrung nicht auch die Erleichterung darüber, dass diese Arbeiter das tun, wozu wir Privilegierten nicht einmal für einen höheren Lohn einen Finger krümmen würden.

Jemanden einen Helden zu nennen, impliziert auch, dass er ohne Eigennutz handelt – ja, gar handeln muss. Und das, finde ich, ist streng betrachtet eine ungehörige Anmaßung gegenüber diesen Menschen, die auch Rechnungen bezahlen müssen und eine Heidenangst vor dem Virus haben.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

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