Corona Briefing Tag 37

Tirols Alesia, Merkels Orgien, Altmaiers Hühnerhaufen

Bundeskanzlerin Angela Merkel
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Mittels paradoxer Intervention versuchen die Tiroler Landesregierung und Tourismus-Vertreter nun den Befreiungsschlag. Anders formuliert: Kurz wird viele seiner Kontakte nützen müssen.

Guten Morgen. „Ich kenne kein Ischgl! Ich weiß nicht, wo Ischgl liegt! Niemand weiß, wo Ischgl liegt.“

So ähnlich wie Häuptling Majestix in einem der besten Asterix-Bände das gallische Trauma, die entscheidende letzte Niederlage des Averner-Fürsten Vercingetorix gegen Julius Cäsar in Alesia verdrängt, und ungeschehen machen will, versuchen viele in Österreich und noch mehr in Tirol die bisher offensichtlich größte Corona-Party Europas, inklusive Vertuschung und ungehinderter Infizierten-Abreise nach Begleichung der Rechnung vergessen zu machen. Methode: intensive Autosuggestion plus Lokalpatriotismus plus Unverfrorenheit plus Opfermythos.

Das wird nur nicht funktionieren. Mittels paradoxer Intervention versuchen die Tiroler Landesregierung und Tourismus-Vertreter nun den Befreiungsschlag: Gemeinsam wurden neue Regeln für die Wiedereröffnung von Hotels und Lokalen erarbeitet. Vorgeschlagen sind unter anderem ein Abstand von zwei Metern zwischen den Tischen, an denen höchstens sechs Personen Platz nehmen dürfen, ein Tragen von Mundschutzmasken sowie verstärkte Desinfektionsmaßnahmen. Tischtücher sollen nach jedem Gast gewechselt werden. Fehlen nur noch die Saisonarbeitskräfte, die das alles machen. Aber ich will weniger zynisch sein: Immerhin gibt es Vorschläge, immerhin gibt es Konzepte. Besser als das ostösterreichische Jammern darüber, dass nichts passiere.

Es ist logisch für ein Tourismusland, dass die Regierungsspitze allen voran Bundeskanzler Kurz selbst international Stimmung machen, um von der Sommersaison zu retten was noch zu retten ist. Man hofft, zumindest die deutschen Urlaubsgäste würden an die Seen, zu (verkleinerten) Festspielen und in die Berge kommen. Aber die Begeisterung hält sich in Deutschland auch Dank Ischgl in Grenzen, glaubt man selbst den deutschen Medien, die Österreich und seinem jungen Kanzler wohlgesonnen sind. Die für Tourismus zuständige Minister Elisabeth Köstinger hatte in der „Presse am Sonntag“ offen um deutsche Sommerurlauber geworben und quasi von einem möglichen Nicht-Reisewarnungspakt gesprochen.

Doch Berlin reagiert zurückhaltend auf solche Überlegungen zu einem Tourismuspakt für den Sommer. Es sei der Regierung bewusst, dass die (österreichische) Tourismusbranche derzeit sehr leide, sagt eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Im Moment sei es aber das Wichtigste, die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Es gebe keinen Grund, die Politik der geschlossenen Grenzen zu ändern. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte sogar offen vor einer Urlaubsdiskussion. „Es ist ein falsches und überaus gefährliches Signal, jetzt über Auslandsreisen im Sommer zu reden.“ Das könnte eine zweite Epidemiewelle auslösen – und das sei „eine Katastrophe und keinen Sommerurlaub im Ausland wert“, so Lauterbach. Zudem gibt es auch in Deutschland Tourismusbetriebe vom Chiemsee bis Sylt, die im Sommer 2020 gerne das Monopol auf die eigenen Urlauber hielten, um die Krise einigermaßen unbeschadet zu überstehen.

Anders formuliert: Kurz wird noch viele seiner deutschen Kontakte nützen müssen. Und Tirol wäre gut beraten, Ischgl nicht als Erfindung deutscher Medien und beiläufige Gottesprüfung abzutun, sondern als das zu bezeichnen was es war: ein lokales Totalversagen inmitten der Covid-Krise. Das nun nicht den anderen österreichischen Tourismusregionen schaden sollte. Selbst wenn die Tiroler Sicht der Dinge die eigentliche Wahrheit wäre: Die potenziellen Gäste glauben es nicht.  Oder um es tirolerisch zu formulieren: Wer an-und abreist, macht die Regeln. Nicht wer kassiert. Aber jetzt geht wieder der Exil-Tiroler mit mir durch, die werden mich noch ausbürgern. Ausgerechnet Tirolern mit einem (gallisch-)französischem Nationalheiligen zu kommen…

Aber bleiben wir noch kurz beim Thema: Michael Regner, Unternehmensberater im Tourismus- und Hotel-Bereich hat mir zumindest eine (subjektiv) positive Auswirkung der neuen Virus-Regeln verraten: Das Buffet ist tot. Beim Anstellen vor dem langsam austrocknenden Wurst-Buffet lässt sich die notwendige soziale Distanz ebenso wenig sicherstellen wie die eigentlich ohnehin geltenden Hygienevorschriften, dass man mit dem vom Vorgänger benutzten Salatlöffel nicht im nächsten Mayonnaise-Haufen lustvoll herumstochert. Vielleicht sorgen echte Bestellungen für Frühstück, Vorspeisen und Dessert auch dazu, dass weniger weggeworfen wird. Im Kaffeehaus lässt in der Früh vom Buttersemmerl auch keiner etwas übrig. Dann könnte Zukunftsforscher Horx endlich sein Büchlein schreiben, wie gut und nachhaltig uns die Krise gemacht hat.

Wie auch immer: Keine Ahnung wie es Ihnen damit geht, aber ich freue mich auf die ersten Restaurantbesuche Ende Mai. Notfalls alleine mit Maske an einer langen Tafel. (Ich darf dann wieder für einige Ausgaben die entsprechende Kolumne für unser Magazin „Schaufenster“ schreiben.)

Aber jetzt bin ich wieder ganz schnell seriös, ernst und chefredakteursgemäß: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt davor, mit voreiligen Öffnungen und Lockerungen „sehenden Auges“ einen Rückfall in der Coronavirus-Krise zu riskieren. „Wir müssen wachsam und diszipliniert bleiben“, sagte Merkel in Berlin. Sollten die Infektionszahlen nach den ersten Öffnungen wieder stark steigen, müssten die scharfen Einschränkungen und der „Shut-down“ wieder verhängt werden. Dies wolle sie unter allen Umständen vermeiden, auch im Interesse der Wirtschaft. „Was das bedeutet, sehen wir in 14 Tagen und nicht vorher“, so die deutsche Kanzlerin. Wichtig sei eigentlich, dass alle Infektionsketten nachverfolgt werden könnten. Dies sei in Deutschland aber nach wie vor noch nicht möglich. Merkel betonte, die bisher von Bund und Ländern getroffenen Maßnahmen seien nicht so scharf wie in anderen europäischen Ländern, wo beispielsweise Parks (Bundesgärten!) geschlossen seien und Menschen nicht nach draußen gehen dürften. Sie hoffe, dass solche Schritte in Deutschland nicht notwendig würden. Soweit so sachlich in der Öffentlichkeit. Aber Berlin kann auch anders, wenn es um Corona geht.

In einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums beschwerte sich Merkel über „Öffnungsdiskussions-Orgien“ der Bundesländer. Wie üblich sickerte das Gesagte in der CDU-Führungsriege nach außen. Erste Kommentatoren unterstellten Merkel, mit dem Wort „Orgien“ nötige Debatten abwürgen zu wollen, wie sie das früher mit der Beschreibung ihrer Politik als „alternativlos“ getan habe. Mit „Orgie“ würde man in Österreich nicht so leicht irgendwas abwürgen.

Zuvor hatte schon Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gewarnt, die Bundesländer dürften in der Debatte um Lockerungen nicht „durcheinanderlaufen wie ein Hühnerhaufen“. Wir stellen uns kurz vor, Wirtschaftsministerin Schramböck, deren Position im inneren Kreis um Sebastian Kurz nicht die geringste ist, würde über Landeshauptleute wie Mikl-Leitner, Stelzer oder Haslauer von einem „Hühnerhaufen“ sprechen.

Sagen wir es so: Der österreichische Föderalismus scheint doch nicht so schlecht zu funktionieren….

Während Sebastian Kurz und Gernot Blümel auf CNN also abwechselnd Interviews geben und die Kollegen Chefredakteure lange wissenschaftliche Gastkommentare für führende US-amerikanische, schwedische und südkoreanische Zeitungen schreiben, habe ich es in den „Gießener Anzeiger" (GA), also in die viertälteste Zeitung der Gegend, geschafft. Dort schrieb ein sehr freundlicher Kollege mit österreichischen Wurzeln:

„Dank der „rasend schnellen Verbreitung“ des Fotos vom überfüllten Fahrstuhl im Uniklinikum über Twitter und viele Onlinekanäle hat Gießen schlagartig einen neuen Bekanntheitsgrad erlangt. In Deutschland hat praktisch jedes Medium auf den missglückten Vorfall beim UKGM-Besuch von Gesundheitsminister Jens Spahn Bezug genommen. Ob das europaweit oder darüber hinaus auch der Fall war, ist offen. Auf jeden Fall hat Rainer Nowak, Herausgeber und Chefredakteur DER österreichischen Qualitätszeitung „Die Presse“, in seinem täglichen Corona-Briefing, etwas Bemerkenswertes dazu gesagt. (Nämlich: „Das lustigste Foto Deutschlands stammt von Bodo Weißenborn, der offenbar mit seinem Mobiltelefon eine besondere Liftfahrt festhielt: Bei einem Besuch der Uni-Klinik Gießen drängelten sich ausgerechnet Gesundheitsminister Jens Spahn, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, hohe Beamte und Ärzte in einen Lift, um nur ja nicht auf den Lift warten zu müssen. Mindestabstand: 1,5 Zentimeter.) Auf diese Weise hat die PRESSE mit einer täglichen Auflage von rund 70.000 Exemplaren und durchschnittlich 320.000 Lesern den Bekanntheitsgrad Gießens in der Alpenrepublik blitzartig gesteigert. Bleibt nur die Frage: Handelt es sich beim „Mindestabstand von 1,5 ZENTI-metern“ um einen Druckfehler? Oder hat Rainer Nowak augenzwinkernd zu (bitterer) Ironie gegriffen?“

Ich fürchte, Ironie ist wirklich so wie die Drinks schmecken sollen. Vielleicht verbringe ich meinen Urlaub in Gießen. Ja, googeln Sie nur.

Bis morgen. Dann wieder streng politisch und auf den Spuren berühmter Virologen. Und wie Oliver Pink und ich an einer breiten bunten, aber schlagkräftigen Koalition zu möglichst raschen Öffnung bestimmter Wiener Freibäder arbeiten.  

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