Doku-Serie

„Tiger King“: Geschäfte, Waffen, Frauenfeindlichkeit

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Netflix feiert mit der Doku-Serie „Großkatzen und ihre Raubtiere“ einen ungeahnten Erfolg. Dabei ist die Serie hochproblematisch – und bemerkenswert aufschlussreich.

In den USA gibt es mehr Tiger in Gefangenschaft als weltweit in freier Wildbahn. Dass diese Information nun so weit verbreitet ist, liegt an der Netflix-Serie „Tiger King“ mit dem deutschen Titel „Großkatzen und ihre Raubtiere“. Sie ist ein Überraschungserfolg für den Streamingdienst und handelt in erster Linie von dem ehemaligen Privatzoo-Besitzer Joseph Maldonado-Passage, besser bekannt als Joe Exotic. Er sitzt inzwischen wegen Verstößen gegen Tierschutzgesetze in Haft - und weil er versucht hat, einen Mord in Auftrag zu geben.

Sieben Folgen hat die Serie, hinzu kommt eine Extra-Folge, in der sich einige der Protagonisten noch einmal zu Wort kommen. In dieser nicht dabei sind diejenigen, denen in der Serie die meiste Sendezeit gewidmet wurde: Joe Exotic sowie dessen Erzfeindin, der Tierschützerin Carole Baskin, dem schlaueren und kultivierter wirkenden Privatzoo-Betreiber Bhagavan „Doc“ Antle. Zu Wort meldet sich allerdings der Mann, der Exotic vermutlich ins Gefängnis gebracht hat und schließlich seinen Zoo übernommen hat: Jeff Lowe. 

Er stopft der Puppe einen Dildo in den Mund und schießt ihr in den Kopf

Baskin ist die einzige Frau in der Runde der Großkatzen-Besitzer. Wie heftig sie – nicht nur von Exotic –  angefeindet ist, hat auch mit Frauenfeindlichkeit und einem verqueren Bild von Männlichkeit zu tun. Einmal zeigt Exotic in seiner „Web-Show“ eine aufblasbare Puppe, die er Baskin nennt. Er stopft ihr einen Dildo in den Mund und schießt ihr in den Kopf. Auch bei den anderen Großkatzen-Besitzern haben Frauen einen schlechten Stand. „Doc“ Antle hält sich einen Harem an jungen Frauen, die kaum Geld für ihre Arbeit bekommen. Er bestimmt über deren soziale Kontakte, Arbeitszeit und selbst ihre sehr freizügige „Arbeits-Kleidung“. Eine ehemalige Mitarbeiterin erzählt, dass sie einer Brust-Vergrößerung zugestimmt hat, nur damit sie ein paar Tage frei bekommt.

Auch Lowe benutzt Tiere und Frauen. Er schmuggelt Tigerbabys in sein Hotelzimmer in Las Vegas. So lockt er junge Frauen an, die auf ein Selfie mit den süßen Tigern raufkommen und für Sex bleiben sollen. „A little pussy gets you a lot of pussy“, sagt er. Seine viel jüngere, sexuell aufgeschlossene und schwangere Ehefrau will er nach der Geburt des Kindes sofort wieder ins Fitnessstudio schicken.

Jeff Lowe schmuggelt Tigerjungen in sein Hotelzimmer, um Frauen anzulocken
Jeff Lowe schmuggelt Tigerjungen in sein Hotelzimmer, um Frauen anzulocken(c) Netflix

Das Amerika des Donald Tump

Der größte und gefährlichste Narzisst unter diesen Egomanen ist aber Exotic. Die laut Netflix „charismatische und kultige Persönlichkeit“ hat Tiere gequält und getötet, er hat heterosexuelle Männer manipuliert, ihn zu heiraten, indem er ihre Drogensucht finanzierte. Er dürfte für den Brand eines Gebäudes verantwortlich sein, in dem mehrere Alligatoren verendeten. Nach der Veröffentlichung der Serie schlugen sich Zuschauer trotzdem auf die Seite des geltungsbedürftigen Möchtegern-Stars. „Free Joe Exotic“ forderten sie in den sozialen Netzwerken. US-Präsident Donald Trump überlegte öffentlich, Joe Exotic zu begnadigen.

Dass dieser ein Fan ist, überrascht nicht. Man kann die Serie auch als Reise in Trumps Amerika verstehen. Dabei geht es weniger um explizite politische Botschaften als um den „Way of Life“. Die Serie zeigt nicht – wie so oft – das Leben des oberen Mittelstandes in Kalifornien oder New York, sondern in Oklahoma im Mittleren Westen: Arm, ländlich, erz-republikanisch. 65 Prozent der Wähler stimmten 2016 für Donald Trump.

Männer ohne Schneidezähne

Die Mitarbeiter von Exotics Zoo sagen, sie mögen die Regierung nicht. Sie leben in Trailern und ernähren sich vom abgelaufenen Fleisch von Walmart, das eigentlich für die Tiere gedacht ist. Man sieht Männer Mitte Dreißig, denen Schneidezähne fehlen. „Meth Mouth“ nennt man das, der Konsum der Droge greift die Zähne an.

Und dann ist da die Sache mit den Waffen. Exotic ist ein Waffennarr, der ständig neue Munition und Sprengstoff kaufte. Wozu er diese braucht? Um herumzuschießen und Schaufensterpuppen in die Luft zu jagen, die er Carole Baskin nennt. Die Waffen, sie sind Spielzeug. Für einen der Männer in Exotics Umfeld endete das tödlich. Sein Tod ist nur eine von vielen absurden Geschichten, die die Serie erzählt und die einer Seifenoper würdig wären. Ein verschwundener Ehemann, eine Ehe zwischen drei Männern, Konkurrenzkämpfe – all das hat „Tiger King“. Man ist abgestoßen und gefesselt zugleich.

(c) Netflix

Die Personen und ihre abenteuerlichen Geschichten waren freilich ein gefundenes Fressen für die Regisseure und Produzenten Eric Goode und Rebecca Chaiklin, die eigentlich „nur“ eine Doku über Großkatzen und ihre Besitzer drehen wollten. Aber auch ihre Arbeit steht in der Kritik. Die „New York Times“ schreibt, dass Goodes und Chaiklins Interviewpartner hunderte bis tausende Dollar bekamen – das ist unüblich für das Dokumentarfilm-Genre, wo teilweise Ausgaben wie Taxi-Fahrten beglichen werden, aber man keine Gage bekommt. Im Reality-Genre werden die Protagonisten bezahlt. Die Praxis von „Tiger King“ könnte Schule machen, fürchtet die „New York Times“, und dem Dokumentar-Film-Genre damit Glaubwürdigkeit nehmen.

Durch die schillernden Protagonisten völlig in den Hintergrund gerückt sind die Tiger, um die es eigentlich gehen sollte. „Kein einziges Tier hat von diesem Krieg profitiert“ sagt die einarmige Zoowärterin Saff einmal. Sie meint den Krieg zwischen Joe Exotic und Carole Baskin. Aber dasselbe kann man für die Serie sagen: Kein Tier wird von dieser Serie profitieren. Ob Exotic, Antle oder Lowe: Sprechen sie über die Tiere, fallen Worte wie „industry“, „business“ und „trade“. Immer geht es ums große Geld, das man scheffeln will. Auch das kann man sehr amerikanisch finden.

Am lukrativsten sind die süßen und noch ungefährlichen Tigerjungen. In einer schockierenden, beiläufig gezeigten Szene zieht Exotic einen neugeborenen Tiger mit einer Drahtschlinge vom Muttertier weg, während sie ein weiteres Junges auf die Welt bringt. Tausende Dollar sei ein Junges wert, flohlockt er in einer anderen Szene. Der ehemalige Polizist und Tierschützer Tim Harrison sagt in der „New York Times“: „Wir werden mehr Selfies mit Tigerjungen sehen, mehr und mehr Menschen werden Tigerjungen haben wollen.“ Sollte diese düstere Prognose eintreffen, ist auch das ein Effekt der Serie.

„Tiger King“, auf Netflix

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