Glosse

Uns Eltern von Kindergarten-Kindern geht die Luft aus

Germany, Rhineland-Palatinate, Laacher See, boy looking at two ducks model released Symbolfoto PUBLICATIONxINxGERxSUIxA
Germany, Rhineland-Palatinate, Laacher See, boy looking at two ducks model released Symbolfoto PUBLICATIONxINxGERxSUIxA(c) imago images/Westend61 (imago stock&people via www.imago)
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Die Baumärkte sind schon offen, die Gastronomie wird bald folgen. Aber wann sollen die Kinder wieder in den Kindergarten? Als Mutter zweier Kleinkinder fühle ich mich allein gelassen.

Vor ein paar Tagen haben meine zweieinhalbjährigen Zwillinge in ihren Spielzeugautos imaginäre Babys „gefunden“. Mein Sohn hielt sein Baby in seinen kleinen Händen, flüsterte mit ihm und imitierte seine Schreie, leise und hoch. Meine Tochter fütterte ihrem Baby mit einem Löffelchen Brei und legte sich dann schlafen, das unsichtbare kleine Wesen auf ihrer Brust.

Es war einer dieser „magischen Momente“, die man sich merken wird. Und der einem Kraft gibt, denn nach fast sechs Wochen zu Hause sind wir ausgelaugt. Am Anfang war es nicht viel anders, als wäre ein Kind krank. Kleinkinder sind oft krank, Zwillinge gern hintereinander. Man gewöhnt sich daran. Wir versuchen, die Routine aufrechtzuerhalten. Aufstehen, essen, spielen, kochen, essen, schlafen, rausgehen, essen, spielen, schlafen. Tag für Tag für Tag. Inzwischen hat sich in den Alltag auch Fernsehen in Gestalt eines kleinen selbstbewussten Schweinemädchens eingeschlichen. Damit es sich ausgeht, etwas anderes zu kochen als Würstel, Pommes oder Nudeln (nicht, dass die Kinder nach Abwechslung verlangt hätten. Oder gar nach Gemüse).

Ostern ist gekommen und gegangen. Wir haben Eier gefärbt und Reindling gefüllt (es sind mehr Rosinen im Magen gelandet als auf dem Teig). Fast täglich videotelefonieren mit den Großeltern oder Tanten und Onkel. Die Sehnsucht der Omas und Opas nimmt zu, das Interesse der Kinder am Kontakthalten ohne Anfassen, Kuscheln, Spielen, nimmt ab.

Wir haben Glück. Wir haben einen Balkon. Es ist Frühling, es wird wärmer und die Kinder sind gerne draußen. Wir erkunden den Stadtrand und fahren in den Wald. An manchen Tagen spielen die Kinder eine halbe Stunde miteinander, ohne zu schreien oder zu streiten

Wir Elternteile können uns dank Wochenenddiensten, Urlaubsabbau und Sonderurlaubsregelung abwechseln mit der Betreuung. Dann hat der andere (fast) Ruhe im Home Office. Auf die volle Stundenanzahl kommen wir aber nie. Arbeit bleibt liegen, die To-do-Listen wachsen, beruflich und privat. Auf den Spielplätzen ist das Gras nachgewachsen, auf den Möbeln der Wohnung liegt eine feine Staubschicht.

Wir kaufen für eine ganze Woche ein. Abgesehen davon machen wir kaum Pläne. Ich versuch, nur von Tag zu Tag zu denken. Sonst fühle ich mich abgehängt und isoliert. Die Politik liefert mir keine Perspektive. Was die Kindergärten betrifft, seien keine Änderungen notwendig, sagt Bundeskanzler Sebastian Kurz. Wer Betreuungsbedarf habe, könne seine Kinder auch bisher schon in den Kindergarten geben. Es sei „keine Schande“, die Kinder in Schule oder Kindergärten zu bringen, sagt Kurz. Sind die Worte bewusst so gewählt? Wie groß muss der Leidensdruck sein, damit es „keine Schande“ mehr ist?

Ich verstehe das so: Wer es gar nicht mehr aushält, darf halt kommen. Sonst soll man daheim bleiben, auf unbestimmte Zeit. Es gibt Menschen, die ohnehin meinen, dass Kleinkinder am besten daheim aufgehoben sind. Sie haben sicher nicht müde Eltern im Home Office vorm inneren Auge.

Selbst wenn wir wollten: Ohne gute Begründung wollen viele Kindergärten die Kinder nicht nehmen, man muss Nachweise der Arbeitgeber bringen, dass es daheim wirklich nicht geht.

Wir fühlen uns alleine gelassen.

Schau auf dich, schau auf mich! Gemeinsam gegen das Coronavirus! Halt Abstand! Bleib zu Hause! Mach es zu deinem Projekt! Es gibt immer was zu tun! Sind sie zu stark, bist du zu schwach.

Manchmal singt meine Tochter Lieder, die ich nicht kenne. Sie muss sie von ihren Pädagoginnen gelernt haben. Ich kann meinen Kindern nicht alles bieten, was der Kindergarten bietet. Statt zu basteln hängen wir gemeinsam Wäsche auf. Statt auf ein Gerüst zu klettern, steigen sie auf die Lehne der Couch.

Noch sind sie zu klein, um richtige Freundschaften zu haben, aber sie vermissen andere Kinder. Auf unseren Spaziergängen an Orte, wo möglichst wenig Menschen sind, treffen wir immer wieder auf andere Kinder, mit Sicherheitsabstand natürlich. Mein Sohn und meine Tochter bleiben dann immer stehen und starren. Als wäre das nicht etwas völlig Normales.

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