Glosse

Mit dem Fahrrad auf der Autobahn

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Was tun mit Italiens Schulden? Die EU ist mit einer Krise konfrontiert, für die sie nicht gemacht ist.

Mit der Kritik an der angeblichen Trägheit der Europäischen Union angesichts der Coronakrise verhält es sich ein wenig wie mit dem Jammer nach einem Fehlkauf. Wer soeben ein Fahrrad erstanden hat, sollte sich besser nicht darüber beschweren, dass das Gefährt keinen Kofferraum hat, nicht in sechs Sekunden von null auf hundert beschleunigen kann, und man damit nicht auf Autobahnen unterwegs sein darf. Dass die Brüsseler Entscheidungsprozesse alles andere als schnell sind, kann man bedauern oder begrüßen - nur ändern lässt sich daran herzlich wenig.

Konsensuale Entscheidungsfindung nach der Abwägung aller Argumente ist nichts weniger als die ultimative Daseinsberechtigung der EU. Dafür wurde sie schließlich gemacht - nicht für politische Spritztouren mit offenem Verdeck, sondern für das langwierige Werk der europäischen Integration.

Für die Union ist Covid-19 die bisher größte Belastungsprobe. Nicht hinsichtlich der medizinischen Bekämpfung der Seuche, sondern für den wirtschaftlichen Zusammenhalt. Wie man es auch dreht und wendet: Italien ist zu groß, um vom Rest der Eurozone aufgefangen zu werden. Spätestens wenn die Ratingagenturen Italiens Schuldscheine auf Ramschniveau herabstufen, wird die EU mit ihrem jetzigen Latein am Ende sein. Ob die Europäische Zentralbank mit ihren Stützungskäufen den Dammbruch verhindern kann, ist alles andere als sicher.

Wer nun die Aktionen der EZB lobt, sollte sich jedenfalls der Tatsache bewusst sein, dass das Vorgehen einer Vergemeinschaftung der Schulden durch die Notenbank-Hintertür gleicht. Denn die Bilanzen müssen irgendwann in irgendeinem Hinterzimmer ausbalanciert werden. Es kann also durchaus sein, dass sich die EU auf ihrem Fahrrad demnächst auf der Autobahn wiederfinden wird. Und dann ordentlich in die Pedale treten muss, um heil davonzukommen.

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