Die Nulllohnrunde für Hilflose

Abgeordnetenbezüge kürzen? Ein populistischer Vorschlag.

Am 30. Juni war es wieder so weit. Im Verfassungsausschuss beschlossen vier Parlamentsparteien, die Politikerbezüge auch im Jahre 2010 und 2011 nicht an die inzwischen aufgetretene Teuerung anzupassen. Ein Ausdruck der in der Politik gängigen Strategie, aus Angst vor dem Tode Selbstmord zu begehen.

Die meisten Abgeordneten wissen nämlich ganz genau, dass ihre Bezüge seit Jahren abschmelzen: Sie werden nicht so wie die Löhne erhöht, sondern bestenfalls der Teuerung angepasst. Die meisten Politiker halten das für ungerecht. Da sie aber wissen, dass in Österreich der Grundsatz gilt: „Jeder, der mehr verdient als ich selbst, hat ein ungerechtfertigtes Privileg“, wissen sie, dass ihnen ein großer Teil der Bevölkerung den Bezug und jede Anpassung neidet. Wer in dieser Gesamtlage eine Kürzung vorschlägt, trifft auf Zustimmung im Lande. Die Populisten in BZÖ und FPÖ schlugen daher ein Einfrieren der Bezüge vor, die Regierungsparteien machten sofort mit, allerdings mit geballter Faust im Hosensack.

Der Sitzungsbericht verzeichnet getreulich die aufschlussreichen Wortmeldungen der Chefs der Regierungsmehrheit: „Die Nulllohnrunde sei im Rahmen des allgemeinen Sparkurses ein Solidarbeitrag der Politik“ – richtig, wenn es irgendeine andere Berufsgruppe gäbe, die selbst eine solche Maßnahme für sich vorschlagen würde.

Niemand macht das, es wäre ein Eingeständnis. Der Klubobmann der SPÖ wollte die Nulllohnrunde „aber ausdrücklich nicht dahingehend interpretiert wissen, dass die Abgeordneten überbezahlt seien“. Er kritisierte „die Tendenz der Medien, die Politik und die Arbeit der Abgeordneten negativ zu beurteilen“. Aha, die Medien sind's, der beliebte Sündenbock.

Nur die Abgeordneten der Grünen, Wolfgang Zinggl und Karl Öllinger, störten den allgemeinen Populismus des Ausschusses: Sie fragten sich, warum denn dann die Koalitionsparteien vor diesem Hintergrund eine weitere Nullohnrunde beantragt haben. Eine „Lizitiererei nach unten“, die geradewegs dazu führe, „dass der Wert der Politik nicht besonders geschätzt werde“. Tapfer stimmten sie auch dagegen. Ich muss sie loben.

In der Tat wird es immer schwerer, gut ausgebildete und leistungsbereite junge Menschen für ein Mandat im Nationalrat zu gewinnen: 3500 Euro netto, jedes Wochenende unterwegs, nie privat, wenige Abende zu Hause – und wenn's mit der Wiederwahl nicht klappt: keine Absicherung, keine Pension, kein Job, man wird zum Sozialfall. Also Lob für die Grünen? Ja, hätte da nicht gleichzeitig Peter Pilz in einem Zeitungsinterview alle anderen Abgeordneten zum Nationalrat als Hilflose bezeichnet und ihren Bezug als „den höchsten Hilflosenzuschuss“ Österreichs.

Vielleicht hat auch er recht?

Univ.-Prof. Andreas Khol war Nationalratspräsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.