Großbritannien

Pfleger über Johnson: "Er wollte mit Boris angesprochen werden"

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Zwei Pfleger berichten über die Behandlung des britischen Premiers auf der Intensivstation. Johnson plant eine Audienz bei der Queen. Die Kritik an seinem Krisenmanagement mehrt sich.

Fast ein wenig sehnsüchtig erwarten viele Briten die Rückkehr ihres Premiers in die Downing Street. Noch erholt sich Boris Johnson auf dem Wochenendsitz Chequers von den Strapazen seiner Corona-Erkrankung. Nordirland-Minister Brandon Lewis stellte die baldige Rückkehr Johnsons in Aussicht, dessen Umfragewerte in der Coronakrise trotz der zunehmenden Kritik an seinem Krisenmanagement gestiegen sind.

In London meldeten sich derweil jene beiden Pfleger zu Wort, denen der Premier in seiner Videobotschaft ausdrücklich gedankt hatte für ihren Einsatz in der Intensivstation des St. Thomas Hospital. „Er war wie jeder andere Patient“, sagte die neuseeländische Krankenschwester Jenny McGee. Sie habe sich mit ihm über ihre Heimat unterhalten. Nur der Medienwirbel habe sie irritiert. Beeindruckt zeigte sie sich überdies, dass Jacinda Ardern sie kontaktiert habe. Die neuseeländische Premierministerin, eine Labour-Politikerin, sei so etwas wie ihre Heldin.

Luis Pitarma, der zweite Pfleger, ein Portugiese, berichtete, dass der Premier kein Aufhebens um seine Person machte. „Er wollte, dass ich ihn mit Boris anspreche.“ Das St. Thomas Hospital, wo Florence Nigthingale eine Ausbildungsstätte gegründet hatte, sei stets sein Ziel gewesen. Auch Pitarma bekam neben den Dankesworten des Premiers einen Anruf – von Portugals Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa. „Das war unwirklich."

Premiere im Parlament

Johnson fehlte, als das Parlament in London am Mittwoch eine Premiere feierte – die erste virtuelle Debatte in der Geschichte des Parlamentarismus. In der Fragestunde des Premiers, den Außenminister Dominic Raab vertrat, waren aus Hygienegründen nur 50 Abgeordnete zugelassen – 120 Parlamentarier schalteten sich via Zoom dazu.

Keir Starmer, der neue Labour-Chef, sparte beim Debüt als Oppositionsführer nicht mit Kritik: Es sei etwas gründlich schief gelaufen. „Wir waren langsam bei der Ausgangssperre, langsam beim Testen, langsam bei der Schutzausrüstung.“ Die Opposition will einen Untersuchungsausschuss einsetzen.

„Das NHS hat mein Leben gerettet"

Großbritannien ist drauf und dran, die Schwelle von 20.000 Todesopfern zu überschreiten. Die „Financial Times“ geht sogar von mehr als doppelt so vielen Toten aus. Die Popsängerin Marianne Faithfull (73) wurde indessen nach dreiwöchiger Behandlung aus dem Spital entlassen. Wie Johnson sagte sie:: „Das NHS (das nationale Gesundheitssystem) hat meinLeben gerettet.“ Jeden Donnerstagabend spenden die Briten dem medizinischen Personal demonstrativ Applaus.

Johnson, der sich seit seiner Entlassung am Abend des Ostersonntags mit seiner ebenfalls infiziert gewesenen, schwangeren Verlobten Carrie Symonds auf dem Landsitz Chequers nordwestlich von London auskuriert, telefonierte schon mit seinen Ministern und mit US-Präsident Donald Trump. Für Ende der Woche ist sogar eine Audienz bei der Queen, die kürzlich ihren 94. Geburtstag beging, auf Schloss Windsor geplant. Am endgültigen Brexit-Datum, dem 31. Dezember, hält er fest, heißt es aus seiner Umgebung.

Johnson drängt auch deshalb zu einer Wiederaufnahme der Amtsgeschäfte, weil sich die Vorwürfe gegen ihn und seine Regierung mehren. Die „Sunday Times“ veröffentliche eine vernichtende Kritik. Demnach habe er an fünf Krisensitzungen nicht teilgenommen, weil sein Fokus dem Brexit und nicht der Coronakrise gegolten habe. Zudem soll er zu sehr mit seinem Privatleben beschäftigt gewesen sein, etwa mit der Scheidung von seiner zweiten Frau. Michael Gove, der Minister ohne Portefeuille, sein Freund und früherer Rivale, bezeichnete die Anschuldigungen als „grotesk“.

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