"Die Presse" liest Neuerscheinungen. Diese Woche erzählt Vitali Konstantinov kunstreich die bewegte Geschichte der Schrift - in einem übervollen Comic.
Man braucht Zeit, um sich in diesem prall gefüllten Buch einzufinden: Was im großformatigen „Es steht geschrieben“ alles zum Thema Schrift zu finden ist, überwältigt. Dieses Wissen, das hier locker und flott vermittelt wird, hätte fünf andere Bücher füllen können. Allein schon die Anfänge des Schreibens: Nachrichten per Blume und Blatt, Ornamente im Sand, ein Perlengürtel als Vertrag: die Einfälle weitgehend schriftloser Völker scheint der Autor nett zu finden, doch Keilschrift und Hieroglyphen, die Frage, wie und warum vor tausenden Jahren Zeichen entstanden und wie sie sich entwickelten, ist doch weit beeindruckender. „Ich bringe dir eine Ziege, schreibst du mir einen Beleg?“ Vitali Konstantinov illustriert die Entwicklung der Schrift in Comics, darunter, darüber und daneben sind die Erklärungen zu finden.
Auf jeder Seite seltsame Zeichen, Logogramme, Piktogramme, Buchstaben, die ostasiatische Schriftzeichen, Runen, Silbenschriften und Kunstschriften. Mehr als 7000 Sprachen wurden auf der Welt gezählt, die der Rotokas (Ozeanien) hat nur 12 Laute, das Italienische 32, dann gibt es aber auch noch welche mit Klicklauten, etwa in Südafrika, die können auf 160 Laute kommen. Wie kann man das alles schriftlich wiedergeben? Oder: kann man heute in Keilschrift oder vielleicht sogar in der Sprache der Klingonen (ja, die aus Star Trek) mailen oder simsen? Unzählige Fragen werden hier beantwortet, das Buch ist (über)voll gepackt mit Tabellen und Erklärungen, manch ein Kind wird dabei Unterstützung brauchen, manch ein Erwachsener genußvoll darin versinken. Wer bisher kein Fan von Graphic-Novels war, kann hier den Reiz dieser Form entdecken. Das Buch ist übrigens für den deutschen Jugendbuchpreis nominiert.
Vitali Konstantinov: „Es steht geschrieben“. Von der Keilschrift zum Emoji. Gerstenberg Verlag , 80 Seiten, 25 Euro. Alter: Ab 10 Jahren
Es ist so eine Sache mit traurigen Büchern für Kinder. Da gibt es immer ein kurzes Zögern, sozusagen ein „aber es ist traurig“. Von sich aus greifen Kinder, genauso wie Jugendliche, wohl eher zu den Titeln, die ihnen als lustig oder spannend beschrieben werden. Im Gedächtnis bleiben aber oft die, die sie zu Tränen rührten. Mit "Alles, was wir träumten“ legt die Australierin Karan Foxlee nun ein solches vor. Schon das Setting bekümmert: Im Ohio der 70er Jahre versucht eine Mutter, ihre beiden Kinder mit mehreren Jobs durchzubringen. Der Vater war nie wirklich da und irgendwann ganz weg, das Geld ist knapp, es reicht kaum für Miete, Essen und Kleidung. Und Davey hört und hört nicht auf, schneller als alle anderen zu wachsen. Es ist dieses ständige Größerwerden, das wie eine böse Vorahnung über der kleinen Familie schwebt, immer ist es da, alles nimmt Bezug darauf, und doch dauert es, bis „Gigantismus" diagnostiziert wird. Was den Geschwistern von ihrer Kindheit bleibt, entsteht aus der monatlichen Zustellung eines (gewonnenen) Lexikons in vielen Einzelbänden. Sie studieren die Ausgaben und lassen sich von Bären, Beringsee und Blattkäfern für die Natur begeistern, Lenny entwickelt eine seltsames Interesse an Insekten, Davey, mit sechs Jahren so groß wie ein Jugendlicher, eine Liebe zu Adlern. Die glasklare, melodische Sprache von Karen Foxllee beschreibt die Liebe zwischen dem großen, schiefen Bub, der trotz allem so laut und glücklich ist, und seiner Schwester, die natürlich auch genervt ist und sich für ihn schämt, so fein, so nahbar, dass man das Buch kaum weglegen mag. "Alles, was wir träumten“ von Karen Foxlee. 352 Seiten, 16,95 Euro. Alter: ab 11 Jahren. Man braucht Zeit, um sich in diesem prall gefüllten Buch einzufinden: Was im großformatigen „Es steht geschrieben“ alles zum Thema Schrift zu finden ist, überwältigt. Dieses Wissen, das hier locker und flott vermittelt wird, hätte fünf andere Bücher füllen können. Allein schon die Anfänge des Schreibens: Nachrichten per Blume und Blatt, Ornamente im Sand, ein Perlengürtel als Vertrag: die Einfälle weitgehend schriftloser Völker scheint der Autor nett zu finden, doch Keilschrift und Hieroglyphen, die Frage, wie und warum vor tausenden Jahren Zeichen entstanden und wie sie sich entwickelten, ist doch weit beeindruckender. „Ich bringe dir eine Ziege, schreibst du mir einen Beleg?“ Vitali Konstantinov illustriert die Entwicklung der Schrift in Comics, darunter, darüber und daneben sind die Erklärungen zu finden. Auf jeder Seite seltsame Zeichen, Logogramme, Piktogramme, Buchstaben, die ostasiatische Schriftzeichen, Runen, Silbenschriften und Kunstschriften. Mehr als 7000 Sprachen wurden auf der Welt gezählt, die der Rotokas (Ozeanien) hat nur 12 Laute, das Italienische 32, dann gibt es aber auch noch welche mit Klicklauten, etwa in Südafrika, die können auf 160 Laute kommen. Wie kann man das alles schriftlich wiedergeben? Oder: kann man heute in Keilschrift oder vielleicht sogar in der Sprache der Klingonen (ja, die aus Star Trek) mailen oder simsen? Unzählige Fragen werden hier beantwortet, das Buch ist (über)voll gepackt mit Tabellen und Erklärungen, manch ein Kind wird dabei Unterstützung brauchen, manch ein Erwachsener genußvoll darin versinken. Wer bisher kein Fan von Graphic-Novels war, kann hier den Reiz dieser Form entdecken. Das Buch ist übrigens für den deutschen Jugendbuchpreis nominiert. Vitali Konstantinov: „Es steht geschrieben“. Von der Keilschrift zum Emoji. Gerstenberg Verlag, 80 Seiten, 25 Euro. Alter: Ab 10 Jahren Ja, wir sagen Kindern, wie sie sich verhalten sollen. Oder besser: wie nicht. Und ja, das, was wir da fordern, halten wir selbst nicht unbedingt ein. Wahrscheinlich gehen wir oft davon aus, dass sie das nicht bemerken. Im amüsanten Büchlein „So was tun Erwachsene nie!“ wird uns aufgezeigt, dass Kinder natürlich sehr genau beobachten, wie wir fluchen, etwa wenn das Auto liegenbleibt. Wie unsere Schreibtische im Chaos versinken, wie wir ständig aufs Handy starren, auch mal rülpsen, beim Spielen schummeln oder die Schuld auf andere schieben. Und wenn das Haustier dafür herhalten muss. Die Kinder, die in „So was tun Erwachsene nie!" auftauchen, sind, was sie so oft sind: Scharfsinnige Beobachter, ausgestattet mit der Begabung, genau das zu sehen, was wir verstecken wollen. In den peppig-bunten Momentaufnahmen von Davide Cali, Benjamin Chaud und Ebi Naumann schleichen sich mit ihren Notizblöcken, Ferngläsern und Aufnahmegeräten an. Sie finden die perfekten Verstecke, lassen ihrem detektivischen Spürsinn freien Lauf. Und finden Erwachsene, die sich so verhalten, wie sie es nicht sollten. Herrlich komisch, diese Aufdeckerei. Davide Cali, Benjamin Chaud, Ebi Naumann: "So was tun Erwachsene nie!". 40 Seiten, 12 Euro, erschienen bei Thienemann. Alter: Ab vier Jahren. Viele Kinderbücher folgen einem klassischen Heldenschema, und wenn die Protagonisten nicht schon mit dem Wissen um ihren Mut, ihre Stärke und Klugheit zur Welt kamen, so werden sie im Laufe des jeweiligen Buchs erweckt. Helsin ist erfrischend anders. Das an sich sehr fröhliche Mädchen verliert (und welches Kind kennt das nicht?) immer wieder die Kontrolle über sich. Diese Phasen sind kurz und heftig, da kocht die Energie in ihr über und „spült eine rasende rote Welle in Helsins Körper hoch, und dann sieht und hört und riecht und schmeckt Helsin nichts anderes mehr als FEUERROT“. Das, was dann kommt, nennen alle nur den „Spinner“. Ein solcher steht schon am Beginn des Buches von Stefanie Höfler, denn als ein neuer Bub in Helsins Klasse kommt, der die Regeln des Umgangs mit ihr noch nicht kennt, läuft alles anders, als sie es gewohnt ist. Woraufhin sie einige ziemlich schlechte Ideen entwickelt, etwa die Entführung eines Leguans, der dann auch noch den Schwanz abwirft. „Helsin Apelsin und der Spinner“ ist eine humorvolle Geschichte, die in all ihren Wendungen so nachvollziehbar bleibt wie selten ein Kinderbuch. Es ist auch eine Geschichte, die Kindern in klarer, schöner Sprache ihr eigenes Gefühlschaos näher bringt: was für ein Verdienst. Stefanie Höfler: "Helsin Apelsin und der Spinner". 208 Seiten, 12,95 Euro, erschienen bei Beltz & Gelberg. Alter: Ab acht Jahren. Leselust bedeutet bei vielen Kindern vor allem eins: ein spannendes Buch, das sie nicht mehr aus der Hand legen wollen. Dass der deutsche Autor Patrick Hertweck recht genau weiß, wie er ein solches anlegen muss, zeigt er in seinem historischen Roman rund um zwei Mädchen im Wilden Westen. Während die eine in einer Blockhütte in der Wildnis aufwächst, lebt die andere in einem herrschaftlichen Anwesen, abgeschottet vom städtischen Schmutz und der Kriminalität nach dem Ende des Goldrauschs. Tara und Tahnee sind denkbar unterschiedlich, ihre Leben aber miteinander verbunden. Ein wirklich grauslicher Kopfgeldjäger bringt die Handlung ins Rollen. Er sucht Taras Vater, einen Geheimniskrämer, das Kind muss sich schließlich allein von der Sierra Nevada nach San Francisco durchschlagen und weiß noch nicht einmal warum. „Tara und Tahnee. Verloren im Tal des Goldes“ ist ein Buch, das Kinder ab zehn Jahren verschlingen: Flucht und Jagd, schnelle Wendungen und Geheimnisse, detailreiche Schilderungen des Lebens im 19. Jahrhundert. Patrick Hertweck: „Tara und Tahnee. Verloren im Tal des Goldes“. 304 Seiten, 15 Euro. Erschienen bei Thienemann. Alter: Ab zehn Jahren. Die Büchereien sind weiterhin geschlossen, das Coronavirus hat den Bedarf an guten Büchern aber verstärkt, gerade auch für Kleinkinder. E-Books sind mit Sicherheit nichts für alle, die sich Schokoeis zum Mittagessen wünschen, weshalb hier sozusagen das Gegenteil eines digitalen Buchs vorgestellt werden soll: Ein Büchlein, das quasi vollendete Papierkunst ist. „Was schlüpft aus dem Ei“ ist die Frage, die Maike Biederstädt passend zum Frühling auf jeder Doppelseite neu beantwortet. Sie lässt farbenprächtige, beeindruckende Tierdarstellungen aus den Seiten wachsen; da reckt das frisch geschlüpfte Amselchen den Kopf hungrig nach dem Wurm, da beugen sich Pinguine in all ihrer fürsorglichen Eleganz zu den Eiern zwischen ihren Füßen, da rudern kleine Schildkröten ungeschickt mit ihren Flossen durch den Sand. Die Krokodilmutter trägt ihre Jungen im Maul zum Fluss, und wie groß dieses Maul ist, wie scharf die Zähne und wie sicher die Kleinen darin trotzdem sind, ist beeindruckend plastisch dargestellt. Mit einem Knirschen geben die Seiten jeweils ihr Geheimnis preis. Und weil das Papier fester ist als bei so manch anderem Pop-up-Buch, kann ein vorsichtiger Kinderfinger ruhig auch die spitzen Krokodilszähne erforschen. Maike Biederstädt: „Was schlüpft aus dem Ei?". 12 Seiten. Alter: Empfohlen ab drei Jahren. Erschienen bei Prestel 18 Euro. Bilderbücher, Kinderbücher, Jugendbücher (c) Gerstenberg
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