Seine erste Spielzeit an der Staatsoper beginnt unter verschärften Bedingungen: Der neue Direktor Bogdan Roščić über die ökonomische Lage, Castorf, „Carmen" und „Parsifal". Er will Livestreams gratis anbieten und medizinisches Personal und Supermarktangestellte in die Oper einladen.
Wie ist es, als Operndirektor inmitten einer Wirtschaftskrise in den Zwanzigerjahren eines Jahrhunderts anzufangen?
Man kann sich bei einer solchen Aufgabe wie sonst auch im Leben nicht aussuchen, in welcher Form sie einem plötzlich begegnet. Neulich irgendwo auf Netflix fiel der Satz: „All trouble is sudden.“ So auch hier.
Wie sehen Sie denn die Lage?
Welche der vielen Lagen denn? Daß die Kultur als fünftes Rad am Krisen-Wagen in der gesamten politischen Diskussion nicht einmal mehr dekorativen Stellenwert zu haben scheint? Dass man mich fast nur noch danach fragt, wie man in Wien bloß ohne Touristen Oper spielen soll? Dass öffentliche Kulturinstitute von Besuchern ungestört „Das Kaufmännische Talent“ spielen möchten? Es gibt eine künstlerische Lage und es gibt eine ökonomische Lage. Letztere ist auch für die Staatsoper wenig überraschend unerfreulich. Nicht so sehr in dieser Spielzeit, da hilft die Kurzarbeit. Der Corona-Effekt schlägt nächste Saison zu. Weil eben die Touristen ausbleiben, die hier angeblich 30 Prozent des Publikums ausmachen – der Anteil am Umsatz ist noch größer, weil sie oft teure Karten kaufen. Weil es eventuell unter manchen Stammbesuchern Zurückhaltung geben wird, wieder in einem Raum mit über zweitausend anderen zu sitzen. Weil die Taschen reihum leerer sind. Wie werden sich Sponsoren verhalten? Was wird am Opernball los sein? All diese Effekte kommen nächstes Jahr. Ich will über die Zahlen noch nicht reden, weil sie mit dem Eigentümer noch nicht diskutiert sind, aber um zu sehen, dass sie nicht positiv sein werden, da gehört wenig Fantasie dazu.
Wie soll man darauf reagieren?
Die unbrauchbarsten Vorschläge, die jetzt kommen, leider sogar von ehemaligen Theater-Direktoren, die sich von Chauffeuren haben fahren lassen, lauten natürlich: Gürtel enger schnallen. Ausgerechnet Leute, die sich an staatlichen Theatern eine goldene Nase verdient haben, verbreiten den schädlichen Unsinn, dass man mit drei Euro zwanzig doch eh auch durchkommen müsste Aber nach Corona geht es um andere Dimensionen. Dünnere Pressspannplatten hier, ein Tenor weniger dort, das können Sie alles vergessen, damit kommt man nicht einmal in die Nähe dessen, was notwendig ist. Letzte Woche haben wir ein paar Szenarien für nächste Saison abgeliefert, darüber wird verhandelt werden, aber es ist jetzt schon klar: entweder der Eigentümer will das Haus in seiner jetzigen Form oder man gibt den Status quo auf und muss das Ganze eben komplett neu denken. Durchlavieren geht nicht.