Culture Clash

Der Tod ist ein Meister aus Holland

Ein niederländisches Urteil ist ein seltsamer Kontrapunkt zur instinktiven und fundamentalen Parteinahme der von Corona geplagten Welt für das Leben.

Es ging um die Tötung einer damals 74-jährigen Frau im Jahr 2016. Die Dame hatte in einer Patientenverfügung erklärt, sterben zu wollen, wenn sie unerträglich leide, in ein Heim eingewiesen werde – und „wenn ich denke, dass die Zeit dafür reif ist“. Als sie dann an Alzheimer erkrankte und ins Pflegeheim kam, beantragte ihr Ehemann ihre Tötung. Obwohl die Dame auch Phasen tiefer Traurigkeit hatte, lehnte sie bei mehreren Gelegenheiten eine Tötung ab. Als die Familie insistierte und zwei Ärzte ihre Alzheimer-Demenz für „unerträglich“ befanden, mischte eine Ärztin der ahnungslosen Seniorin ein Betäubungsmittel in den Kaffee und begann mit der Infusion des tödlichen Giftes. Die Dame wachte aber noch einmal auf, wehrte sich und wurde von ihren Familienangehörigen festgehalten, bis sie tot war.

Die Staatsanwaltschaft warf der Ärztin vor, die Patientin nicht eingehend befragt zu haben. Denn in den Niederlanden ist eine Tötung an die freie Zustimmung des Patienten gebunden. Der Hohe Rat hat es diese Woche für erlaubt erklärt, bei Unklarheit der Äußerungen eines dementen Patienten auf eine ältere Patientenverfügung zurückzugreifen. Es liege also keine strafbare Handlung vor. Und überhaupt sei „die strafrechtliche Verfolgung nicht immer die angemessenste Antwort auf eine mögliche Verletzung ärztlicher Sorgfaltspflicht“.

Das Urteil macht keineswegs die Rechtslage für Ärzte sicherer, weil es keine Hinweise darauf gibt, wann die Willensbekundung eines Dementen als „unklar“ anzusehen ist. So hat die Hilfsorganisation Alzheimer Schweiz darauf hingewiesen, dass es der Vorstellung von der Selbstbestimmung der demenzkranken Menschen widerspreche, ihre auch nonverbalen Äußerungen nicht als Willensäußerungen zu respektieren. Die Patientenverfügung wird hier zur Falle für den Patienten. Wenn man als Gesunder bekundet, lieber tot als krank zu sein, heißt das ja noch lang nicht, dass man einmal als Kranker wirklich sterben will. Es wird aber so gewertet.

Vor allem: Das Urteil geht von der bisher in den Niederlanden geltenden Voraussetzung der eindeutigen Freiwilligkeit des zu tötenden Menschen ab. Und zeigt damit, wie realistisch die Ansicht der Gegner einer erlaubten Sterbehilfe sind, dass es bei einem bisschen Töten nicht bleiben wird: Auch eine zunächst vorsichtige Öffnung für die legale Tötung gehe immer weiter – bis zur moralischen Pflicht zum schonenden Ableben und dem, freilich sorgfältigen, Verabreichen von Gift als Routinehandlung. Auch wenn man das Gegenteil will: Wer das Tabu des Tötens verletzt, verwundet das Leben.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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