Wort der Woche

Nudging für Anti-Corona-Maßnahmen

Noch werden die Anti-Corona-Maßnahmen weitgehend akzeptiert. Doch die Stimmung schlägt langsam um – und dagegen wird nun immer öfter Nudging (Anstupsen) eingesetzt.

Herr und Frau Österreicher akzeptieren mit großer Mehrheit die Einschränkungen, die uns die Politik zur Abwehr der Corona-Pandemie auferlegt hat. So ergab eine Marketagent-Umfrage in der Vorwoche, dass das Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken für 74 Prozent seine Berechtigung habe.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, dass die Stimmung langsam umschlägt. So würden nur 20 Prozent der Befragten mit den jetzigen Lockerungen noch länger zuwarten, während 25 Prozent für eine sofortige Öffnung aller Geschäfte plädierten. Die Politologin Barbara Prainsack ortete diese Woche in einer „Wiener Vorlesung“ ein Kippen der Solidarität zwischen den Generationen („Wieso schränke ich mich ein, und die Pensionisten gehen joggen?“). In Deutschland ist die Akzeptanz von Ausgangssperren und Geschäftsschließungen binnen einer Woche um zehn Prozentpunkte auf 42 Prozent gesunken. Wenn in Österreich laut Marketagent mehr als jeder Zweite den Mund-Nasen-Schutz als Störfaktor empfindet, ist bald mit sinkender Akzeptanz zu rechnen. Auch Jugendlichen wird es wohl bald reichen: 82 Prozent vermissen laut „Jugend Trend Monitor“ den persönlichen Kontakt mit Freunden, 62 Prozent Partys.

Nun ist die Wissenschaft gefragt – Psychologen, Soziologen und Verhaltensökonomen wissen viel über das rationale und irrationale Verhalten von Menschen. Um die Pandemie zu besiegen, bräuchten wir eine raschere Verhaltensänderung als jemals zuvor in der jüngeren Menschheitsgeschichte, wird der Soziologe Robb Willer (Stanford University) im Science zitiert (16. 4.). Bei einem Workshop der WHO tauschten sich 700 Experten aus aller Welt zu dem Thema aus. Zwei Lehren daraus: Zum einen brauche es klare, faktenbasierte Information, zum anderen aber auch kleine Veränderungen in der Umgebung, wie etwa visuelle „Erinnerungshilfen“ (Klebestreifen am Boden, Piktogramme in Waschräumen etc.), mit denen das Verhalten der Menschen subtil beeinflusst werden könne.'

Anders gesagt: Das alte Thema des „Nudging“ (Anstupsen) ist wieder da – Methoden, um Menschen dazu zu bringen, „freiwillig“ allgemein als sinnvoll erachtete Dinge zu tun, die sie normalerweise nicht machen würden. Die gezielte Anwendung solcher psychologischen Tricks wurde viel kritisiert – etwa dass die Menschen entmündigt und in eine „Glücksdiktatur“ gezwungen würden. Man kann so argumentieren. Aber was ist in einer Pandemie die Alternative dazu? Rigoroses Strafen?

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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