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„Extraction“: Der Recke rächt sich mit einem Rechen

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EXTRACTION(c) Jasin Boland/NETFLIX (Jasin Boland)
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Im Netflix-Actionreißer „Extraction“ verwandelt sich der Superheld Chris Hemsworth zu einem Supersöldner und zeigt der Drogenmafia in Bangladesch, was eine Harke ist. Die Wucht reißt mit – und versandet zum Schluss.

Was machen Superhelden im Ruhestand? Sie werden Supersöldner. Ein Beispiel: Donnergott Thor aus dem stillgelegten Pantheon des Marvel-Universums. Respektive dessen Darsteller, der australische Schmachtschrank Chris Hemsworth. Zwar hat er Hammer und Harnisch zeitweilig an den Nagel gehängt, erst 2022 sollen diese wieder zum Einsatz kommen. Doch tatenlos rumsitzen ist Göttersache nicht. Also schlüpft Hemsworth zwischendurch für Netflix in profaneres Gewand.

Im Actionthriller „Extraction“ (seit Freitag streambar) gibt er den hart gesottenen Auftragskrieger Tyler Rake. Manche Fassungen des länderspezifischen Filmtitels schließen seinen Namen mit ein. Damit man weiß: Hier geht's um einen Mann, der es kann. Wie James Bond. Wer ist nun dieser Tyler Rake? Ein Kampfkoloss mit Undercut, der morgens zur Erfrischung dreißig Klippenmeter in die Tiefe springt. Und unter Wasser eine Runde meditiert. Jemand, der Kabelbinder mit bloßen Händen sprengt und für den Kollisionen mit Kraftfahrzeugen zum Tagesgeschäft gehören.

Also doch ein Superheld? Ja – aber einer, der nichts zu verlieren hat. Der hofft, dass er eine Kugel abbekommt, wenn er die Revolvertrommel nur oft genug dreht, wie es seine Chefin formuliert. Der dem Tod ins Gesicht starrt, ohne mit der Wimper zu zucken. Keine Sorge: Tyler ist nicht abgestumpft, er ist nur traurig. Als Berufssoldat hat er Frau und Tochter vernachlässigt. Manchmal blitzen Erinnerungen an Tage auf, als er seinen Gram noch nicht im Blut gesichtsloser Halunken ertränken musste. Armer Tyler.

Dieser Prototyp zeitgenössischer Actionrecken (vorbei die Zeiten, in denen Arnold Schwarzenegger als von Seelenwunden unbeschwerte Ein-Mann-Armee ganze Landstriche in Schutt und Asche legen durfte) wird angeheuert, um den entführten Sohn eines bangladeschischen Drogenbarons vor dessen Rivalen zu retten. Anfangs reine Routine – doch bald weckt der sensible Bub Tylers Beschützerinstinkt. Also geht's ans Eingemachte, vor allem körperlich. „Extraction“ strotzt vor blutiger Tuchfühlung und spiegelt damit den Status quo seines Genres. Einst waren Actionspektakel Zirkus, Tanzfilm und Slapstick näher, Darbietungen ausgeklügelter Pyrotechnik und Kampfakrobatik. Heute steht Unmittelbarkeit im Vordergrund: deftiges Schlachten, alles Knall auf Fall.

Brutalität? Bitte schön: Einem armen Kerl drückt Rake einen Rechen ins Gesicht. Welch Ironie (im Englischen heißt Rake nicht nur „zügelloser Lebemann“, sondern auch „Harke“). Dabei ist der Brachialrealismus hochstilisiert. Scheinbar ungeschnittene Prügel- und Ballermarathons durch verwinkelte, kakifarbene Stadtschluchten erinnern an Egoshooterspiele – neuerdings eine zentrale Schablone des Genres.

Ein Killer mit weichem Kern

Das ist eh ordentlich wuchtig und mitreißend, zumindest ein Weilchen. Regie führte Marvels Stuntexperte Sam Hargrave. Die dritte Connection zum Comic-Konsortium bildet Drehbuchautor Joe Russo, ein Teil des Regieduos hinter den jüngsten „Avengers“-Epen. Dem Militaristischen war er schon dort nicht abhold.

Hier sorgt sein Skript für etwas Moralzierrat und Kopfschütteln ob der Kinder, die in die Gewaltspirale gezogen werden. Doch schwingt im Porträt der Metropole Dhaka als rechtsfreier Sündenpfuhl ein Deut Dritte-Welt-Rassismus mit. Die Comicvorlage, an der Russo mitschrieb, spielte in Paraguay. Slumkulissen sind offenbar austauschbar, den Anstand wahrt ohnehin der Zugereiste. Ja, Killer Tyler darf auch Tränen zerdrücken. Und beichten, dass er in Wahrheit überhaupt nicht mutig ist, weil er vor den wahren Herausforderungen des Lebens davonläuft.

Was sogar ein bisschen berührt. Schließlich hört man dergleichen nicht sehr oft von Actionhelden. Und Hemsworth hat durchaus mimisches Talent. Was in „Extraction“ wirklich extrahiert wird, ist also der weiche Kern des Protagonisten.

Der Showdown auf einer Brücke versandet trotzdem in öden Schusswechseln und selbstmitleidigem Pathos. Schade, aber verzeihlich. Im Eifer des Gefechts können die Besten den Überblick verlieren. Und auf einen Rechen treten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2020)

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