SPÖ verliert jüdische Mitglieder

(c) EPA (Ettore Ferrari)
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Die Verurteilung Israels durch den Wiener Gemeinderat führt zu Protesten im Bund sozialdemokratischer Juden. Die SPÖ verliere die Herzen der jüdischen Mitglieder, klagt einer, der aus der Partei ausgetreten ist.

Der Abschiedsbrief von Ernst M. Stern könnte nicht deutlicher formuliert sein: „Ich und viele andere meiner Gesinnungsgenossen, und natürlich die meisten Mitglieder der jüdischen Gemeinde finden es skandalös, dass der Wiener Gemeinderat auf Initiative von SP-Mandataren eine bösartige, Israel vorverurteilende Resolution verfasst, ohne irgendwelche gesicherten (mittlerweile vorliegenden) Fakten des Vorfalls abzuwarten. Dieses Gremium hat bisher immer geschwiegen, wenn in anderen Teilen der Welt Genozide verübt wurden. (...) Wir finden es skandalös, wenn Herr Al-Rawi angesichts einer fanatisierten, hysterischen Menge von Moslems und ihrer österreichischen Sympathisanten noch mit einer Brandrede kräftig Öl ins Feuer gießt.“

So begründet Stern seinen Abschied aus der SPÖ, der auf der Site „Die Jüdische“ veröffentlicht wurde. Die scharfe Resolution des Gemeinderates am selben Tag, als die israelische Marine einen Blockadebrecher vor der Küste Gazas aufbrachte und damit tätliche Auseinandersetzungen auslöste, während deren neun Mitglieder der Gaza-Aktivisten getötet wurde, hat viele Juden in der SPÖ hart getroffen: Ariel Muzicant, Chef der Israelitischen Kultusgemeinde, berichtet von mehreren jüdischen SP-Mitgliedern, die aus Ärger über die schnelle Verurteilung Israels und die anschließenden unterschwellig antisemitischen Demonstrationen gegen Israel ihrer Partei den Rücken gekehrt hätten.

Stern will nicht sagen, wie viele den Austritt wie er vollzogen hätten: „Das ist jedermanns Privatsache.“ Konkret gebe es einen Kollegen aus dem Bund, der ebenfalls die Mitgliedschaft zurückgelegt hat. „Der Bund sozialdemokratischer Juden – Avoda“ ist die sozialdemokratische Fraktion innerhalb der Kultusgemeinde und war früher eine äußerst einflussreiche Fraktion.

Stern, einer ihrer prominentesten Vertreter, war Journalist und betrieb bis 2005 Wiens erste jüdische Buchhandlung. Er betreut im Auftrag der Kultusgemeinde auch die jüdischen Soldaten im österreichischen Bundesheer.

Dass es in der Vergangenheit zum Thema Israel schon häufig heftige Debatten zwischen jüdischen Mitgliedern und araberfreundlichen Sozialdemokraten wie dem früheren Innenminister und aktuellen SP-Pensionisten-Vertreter Karl Blecha gegeben hat, war bekannt.

Stern hat besonders gestört, dass es von der SP-Spitze keine Erklärungen zur Israel-Verurteilung oder Versuche gegeben habe, zu vermitteln. Stern abschließend: Er werde weiter seine sozialdemokratische Gesinnung vertreten, dafür benötige er keine Organisation wie die SPÖ. „Die Herzen der jüdischen Mitglieder“ habe die SPÖ längst verloren. Nachsatz: „Aber was zählen schon ein paar tausend Juden gegen hunderttausende Moslems in Österreich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2010)

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