Interview

Die Welt nach Corona: "Eine Nagelprobe für unsere Demokratie"

Solidarität und Gemeinschaft: Für die "neue Normalität" wichtiger denn je?
Solidarität und Gemeinschaft: Für die "neue Normalität" wichtiger denn je?(c) imago/Westend61
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Die Krise als Weckruf: Die Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger über den Neustart nach der Krise und das notwendige Umdenken der Gesellschaft.

"Die Presse": Frau Leibovici-Mühlberger, Ihr neues Buch heißt „Aufbruch in die Welt nach Covid-19“. Spüren Sie so etwas wie Aufbruchsstimmung?

Martina Leibovici-Mühlberger: Ich spüre sie stark und sie hat mich so sehr erfasst, dass ich das Buch in einer doch kurzen Zeit geschrieben habe. Aber ich habe mich schon im Vorfeld damit auseinandergesetzt, dass unsere Zivilisation mit ihren multiplen Problemen - Klimawandel, Umweltverschmutzung, schrumpfendes Habitat für Wildtiere, extensive Landwirtschaft und Nutztierhaltung - in absehbarer Zeit gegen die Wand knallen könnte. Und dann ist Covid gekommen. Und als der Shutdown verhängt wurde und diese globale Angststarre eingesetzt hat, da habe ich mir gedacht: Jetzt ist es soweit. Jetzt ist er da, der Schuss vor dem Bug. Und wenn wir jetzt die Botschaft annehmen, können wir das Steuer noch herumreißen.

Die Zivilisation wird nach Corona vor einer Weggabelung stehen. Zwischen welchen zwei Szenarien wird sie die Wahl haben?

Zum einen gibt es die misstrauische Haltung. Die Angst vor der Rückkehr der Bedrohung, die in den Wunsch von Kontrolle führt. China lebt es uns ja schon vor, was das bedeuten kann. Wärmebildkameras, beständige Bespitzelung meines Seins, Rückverfolgung all meiner Daten. Dann sind wir - vielleicht zwar auf der Basis von wohlmeinender Vernunftpanik - in einem Kontrollstaat angekommen. Bürgerrechte, ja wer kann sich die noch leisten, wenn es ums Überleben geht? Das würde bedeuten, dass wir den Weg des Humanismus verlassen, den Weg des lebendigen Menschseins, und uns zu so einer Biomassetechnologieverschränkung als Population entwickeln würden, die gebeugten Hauptes auf das Urteil des großen Algorithmus wartet. Und vor so einer Gesellschaft, ja vor der graut mir schon. Denn die entspricht nicht unserer Biologie. Wir sind zutiefst radikal soziale Wesen, wir brauchen das Gegenüber, die Nähe. Und dort ist letztendlich der zweite Weg angesiedelt.

Eigentlich könnte man sagen, evolutionsbiologisch gesehen der ältere, zuverlässigere, denn wir sind als biologische Wesen nur äußerst durchschnittlich und waren in der Mitte der Futterkette mehrmals schon von der Ausrottung bedroht. Wir haben es immer nur deshalb geschafft, weil wir gemeinschaftsfähig und hochsozial sind. Diese Zusammenrottung zu einem gemeinsamen Tun und Sein hat uns viele Probleme überwinden lassen im Laufe unserer langen Existenz. Und dann haben wir noch die Fähigkeit, kreativ, disruptiv, diskontinuierlich auch über den Schüsselrand hinaus denken zu können, uns neue Lösungen einfallen lassen zu können. Und das wäre jetzt gefordert. Wir müssen unsere Zivilisation ein Stück neu denken, neu positionieren, überlegen: Was ist uns wirklich wichtig? Was vom Alten brauchen wir? Was müssen wir jetzt anders machen?

Was müssen wir jetzt anders machen?

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