Biologie

Pollenbelastung: Ein eingeschleppter Käfer frisst das Ragweed auf

Eingeschleppter Käfer frisst Ragweed auf.
Eingeschleppter Käfer frisst Ragweed auf.Karrer/Boku
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Über eine Milliarde Euro könnte ein kleiner Blattkäfer Europas Gesundheitssystemen ersparen: Er ernährt sich von Ragweed und verringert damit die Pollenbelastung und ihre Folgekosten. In Österreich wurde diese Käferart noch nicht gesichtet, aber nahe der Grenzen.

Eines haben der kleine Käfer „Ophraella communa“ und das als Ragweed bezeichnete Beifuß-Taubenkraut („Ambrosia artemisiifolia") gemeinsam: Sie wurden aus Nordamerika nach Europa eingeschleppt, sind also Neobiota und invasive Spezies, die die ursprüngliche Tier- und Pflanzenwelt bedrohen können. Aber der kleine Blattkäfer könnte auch nützlich sein: Denn sein Lieblingsfutter sind Ragweed-Pflanzen, deren Pollenkörner in Europa Millionen von Menschen belasten: Jeweils im Spätsommer und Herbst häufen sich allergische Reaktionen.

Ein Forscherteam mit Gerhard Karrer der Boku Wien untersuchte in einem EU-Projekt, ob man beziffern kann, wie diese Käferart für Erleichterung sorgt – bei Pollenallergikern und beim Gesundheitssystem. „Die Allergie verursacht mannigfaltige Kosten: von der direkten Medikation über den Verlust an Arbeitskraft bis hin zur Verwaltung der Ragweed-Probleme“, erklärt Karrer vom Institut für Botanik. In der Fallstudie im Südosten Frankreichs wurden sämtliche Kostenfaktoren zwischen 2007 und 2015 erhoben und mit den räumlichen und zeitlichen Aufkommen von Ragweed-Pollen verglichen. Die Daten stammten aus Rückerstattungen und Krankenstandsmeldungen der Kranken- und Sozialversicherungen.

82 Prozent weniger Pollen

„In den Monaten, in denen Ragweed der Hauptverursacher von Pollenallergien ist, also von August bis Oktober, war der Zusammenhang zwischen Pollenbelastung und entstehenden Kosten hochsignifikant“, sagt Karrer.

Hochgerechnet auf das mittlere Arzneikostenniveau mehrerer Länder ergaben sich 7,4 Milliarden Euro pro Jahr in ganz Europa, die durch Folgen und Therapie der Ragweed-Allergien entstanden: in den Jahren vor 2013, also bevor der Käfer „O. communa" sich von Norditalien aus in Europa ansiedelte.

In Feldstudien von Karrers Team in der Po-Ebene zeigte sich, wie stark der Blattkäfer den Ragweed-Pollenflug dezimiert: Felder, die von „O. communa" bevölkert waren, produzierten um 82 Prozent weniger Pollen als solche ohne Käferbefall. Um denselben Prozentsatz verringerte sich in der Mailänder Gegend die jährliche Ragweed-Pollenbelastung, seit die eingeschleppten Käfer dort leben.

„Unsere vorsichtig gehaltenen Berechnungen, wie viele Kosten eingespart werden, wenn sich diese Blattkäfer-Art überallhin ausbreitet, wo sie gut gedeiht, käme in Europa auf knapp 1,1 Milliarden Euro pro Jahr“, erklärt Karrer.

In Österreich wurde diese Art noch nicht gesichtet: „Ich konnte im Vorjahr in Slowenien, gut 80 km vor der österreichischen Grenze, Populationen feststellen“, sagt Karrer. Das zweitnäheste Vorkommen liegt bei Zagreb in Kroatien.

„Die erwachsenen Käfer sind zwar flugfähig, können aber nicht pro Jahr 100 Kilometer zurücklegen.“ Doch die unabsichtliche Verschleppung an und in Fahrzeugen ist sehr wahrscheinlich: „Ich habe selbst bei der Analyse eines Vorkommens bei Ljubljana, Slowenien, nach getaner Arbeit mehrere Käfer im Inneren meines Autos angetroffen und natürlich sofort entfernt.“ Die Forscher sind überzeugt, dass sich die Art weiter in Europa ausbreitet, man also die Tiere nicht als biologische Kontrolle des Ragweeds gezielt aussetzen muss.

Was, wenn der Käfer satt ist?

Bei der Einführung fremder Arten muss man stets aufpassen, dass „wir nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“, so Karrer. Denn wenn der Käfer sich mit Ragweed satt gefressen hätte, könnte er selbst zu einem Problem werden. Forscher in Norditalien zeigten, dass die Käfer nach Massenvermehrungen weiter auf nah verwandte Pflanzen ausweichen – das wäre in Österreich die Sonnenblume. „Bei Turin wurde nach der Vernichtung eines Ragweed-kontaminierten Feldes ein direkt benachbartes Sonnenblumenfeld massiv angegriffen. Es fehlen weitere Studien, aber die Landwirtschaft dürfte dies nicht freuen.“

Lexikon

Neobiota sind gebietsfremde Pflanzen, Pilze, Tiere und Mikroben, die durch den Menschen in neue Regionen gelangen.
Ophraella communa ist ein pflanzenfressender Blattkäfer, der 2013 in Europa entdeckt wurde und aus Nordamerika stammt – ebenso wie das Ragweed (erstmals 1883 in Europa gesichtet), das sich seit den 1960ern mit dem wärmer werdenden Klima rasant ausbreitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2020)

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