Am Herd

Über die Unsicherheit

(c) APA/AFP/JUSTIN TALLIS
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Wir müssen warten. Wir werden ungeduldig. Wir schauen auf die Zahlen, lesen, hören Podcasts, aber wir wissen immer zu wenig. Weil das jetzt eben so ist. Über die Unsicherheit.

Ich hätte gern endlich ein Datum. Ein Datum, an dem die Grenzen wieder geöffnet werden. Ein Datum, ab dem ich meine Kollegen nicht mehr nur via Zoom sehen kann. Ein Datum, wann ich mit meiner Hochrisiko-Freundin wieder im Gastgarten sitzen darf, bei einem Gespritzten und einem Blunzengröstel, und nicht fürchten muss, sie vielleicht anzustecken. Ich möchte wissen, wann das alles wieder vorbei ist. Wann die Normalität keine neue mehr sein wird, sondern eine alte, oder zumindest: eine, die der alten ähnlichschaut.

Ich bin ungeduldig.

Ich informiere mich. Ich studiere die neuesten Infektionszahlen, höre den Podcast von Christian Drosten, lese jeden einschlägigen Artikel, den ich in die Finger kriege. Ich kenne mich trotzdem nicht aus. Kann mir endlich jemand sagen, ob Kinder genauso ansteckend sind wie Erwachsene? Ob da was dran ist an dieser Studie, laut der Raucher sich seltener infizieren, weil das Nikotin das Andocken des Virus verhindert? Warum sind die Zahlen in Wien wieder gestiegen? Man hört dies, man hört anderes, es ist zum Aus-der-Haut-Fahren. Aber es ist jetzt eben so. Die Wissenschaft lernt, aber sie braucht ihre Zeit.

Wir müssen warten. Das ist schwer.


Alte und neue Gefahren. Wie schütze ich mich? Wie die anderen? Welche Risken gehe ich ein? An die alten Gefahren haben wir uns gewöhnt, und wir wissen sie einzuschätzen oder glauben wenigstens, wir könnten es. Diese hier ist neu, und es geht vor allem nicht nur um uns selbst. Wie viel Rücksicht muss ich nehmen, wie viel darf ich verlangen? Wer recht hatte, wissen wir wohl erst später. Jener, der seit Wochen nur zum Einkaufen kurz das Haus verlässt. Oder jener, der regelmäßig seine Freunde trifft, im Freien halt, mit Abstand. Die Besorgten oder die eher Unbekümmerten.

Wir können uns darauf einigen, dass Vorsicht geboten ist. Dass dieses Virus wirklich gefährlich ist. Dass es noch nicht vorbei ist. Aber sonst gibt es viele Grau-Schattierungen, wenig Schwarz-Weiß. Viele Vielleichts. Sehr wenig Gewissheit. Wir glauben, etwas verstanden zu haben, und dann ist es doch wieder anders. Wir machen einen Plan und müssen ihn wieder verwerfen. Alles geht zu langsam. Manche verzweifeln daran. Manche basteln sich ihre eigenen Gewissheiten zurecht, sie wissen genau, was zu tun wäre, welche Maßnahmen der Staat zu ergreifen bzw. zu lockern hätte. Manche ziehen sich zurück, pflanzen Küchenkräuter und backen Brot. Manche leben von einem Tag auf den anderen.

Vielleicht könnte ich von ihnen lernen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2020)

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