Gastbeitrag

Herr Minister Faßmann, bringen Sie das Phantastische an die Schulen zurück!

Die Presse (Michaela Burckberger)
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Eine Mutter von zwei Schülern und klassische Sängerin schreibt einen offenen Brief an Bildungsminister Heinz Faßmann: Sie fordert, dass auch der Musik- und Turnunterricht wieder aufgenommen wird.

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Sehr geehrter Herr Minister Faßmann,

Ihre Entscheidung, den Musik- sowie den Sportunterricht in den letzten verbleibenden Schulwochen anderen Unterrichtsfächern unterzuordnen bzw. zu opfern, erstaunt mich sehr. Nein, viel mehr ärgert es mich, und aus diesem Grund möchte ich Ihnen schreiben.

Als Mutter zweier Kinder im Alter von 12 und 15 Jahren, die ein musisches Gymnasium in Wien besuchen, kann ich Ihnen nur Folgendes rückmelden: Nie zuvor hat Musik im Leben meiner Kinder so eine bedeutende Rolle gespielt, wie in den letzten Wochen. Nie zuvor haben sie so viel und gerne geübt und musiziert. Ihre Musik- und Instrumentallehrer haben mit unglaublichem Engagement Gruppen- und Einzelunterricht über diverse Onlineplattformen abgehalten.

Die Tonqualität ließ zum Teil zu wünschen übrig und ein synchrones Musizieren war naturgemäß unmöglich. Aber es gab kreative Lösungen. Meine Tochter sollte für den Musikunterricht eine Aufnahme ihrer Gesangsstimme eines englischen Madrigals machen - und siehe da - sie hatte große Freude daran. Mein Sohn sollte mit der Flöte zu der Cembalostimme, die ihm sein Musikschullehrer (in seiner Freizeit!) eigens angefertigt hatte, dazuspielen, und hatte viel Spaß dabei. Auch der behutsame Gitarreunterricht via Facetime, brachte - insbesondere in der bangen Anfangszeit der Krise - Entspannung, Leben und Freude in das herausfordernde „Homeschooling“.

Und nun, da endlich wieder ein Instrumentalunterricht in Kleinstgruppen möglich sein soll, wollen Sie als Bildungsminister Selbigen untersagen?

Mir ist völlig klar, dass beispielsweise eine Chorprobe mit vierzig Kindern in einem engen Raum unverantwortlich wäre, und dass ein Indoor-Turnunterricht in großen Gruppen ebenfalls problematisch wäre. Jedoch kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dass Ihrer Entscheidung, den Musik- und Sportunterricht zur Gänze abzusagen, die fatale Einteilung in wichtigere und weniger wichtige Unterrichtsfächer zu Grunde liegt.

Ich bitte Sie zu überdenken, dass etwa ein Viertel der Kinder, die in diesem Land leben, übergewichtig ist, und sicher nicht jedes Kind während des sogenannten „Lockdowns“ die Möglichkeit hatte, sich täglich zu bewegen - oder zumindest an Luft und Licht zu kommen.

Die wochenlange Schließung der Bundesgärten war diesbezüglich gelinde gesagt kontraproduktiv, stellt doch Bewegung im Freien eine wesentliche Quelle für die physische als auch die psychische Gesundheit dar. Und dass die Resilienz unserer Kinder in den letzten Wochen auf dem Prüfstand war, ist wohl unbestritten.

Privat

Ich bin überzeugt davon, dass sowohl Sport als auch Musik in hohem Maße zum Wohlbefinden und der Gesundheit unserer Kinder beitragen können und nicht weniger wertvoll oder wichtig sind, als beispielsweise Mathemathik, Physik, Geografie und Latein....

Die Musik in der Erziehung fehlt

Mit Letzterem bin ich nun am Ende und übergebe an den großen Nikolaus Harnoncourt, der das alles in einer seiner Reden viel besser erklärte:

„Kunst war einst ein wesentlicher Bestandteil des Lebens. Man wurde zur Musik erzogen, von Kindheit an: im Erziehungs- und Schulsystem war die Musik den sprachlichen Fächern Grammatik, Dialektik und Rhetorik gleichgestellt. Wer eine Schule absolviert hatte, „verstand“ Musik; das heißt aber, dass der Ausbildung des phantastischen, außerlogischen Denkens genau so viel Sorgfalt gewidmet wurde wie der Ausbildung der Vernunft. Unser Erziehungssystem hat sich in den letzten 100 Jahren weit von diesem Prinzip entfernt. Wir sind so stolz auf unser technisches Denken, auf Logik und Vernunft, dass wir den Verlust des Phantastischen nicht mehr empfinden. So ist es kein Wunder, wenn Musik uns nicht mehr lebensnotwendig erscheint... Indem wir die Musik aus der Mitte unseres Lebens gedrängt haben, haben wir den größten Schatz weggeworfen, der uns geschenkt war. Die Musik spielt in der Erziehung, den Lehrplänen unserer Schulen fast keine Rolle mehr, wie sollen wir sie dann verstehen? Es gibt Mahner, die erkennen, dass das weitgehende Fehlen der Musik in unserem Schulsystem spürbare Defizite in der heutigen Gesellschaft zur Folge hat.“

Sehr geehrter Herr Minister, nützen Sie doch die einmalige Chance, das Phantastische wieder in die Schulen zu bringen!

Zur Autorin

Johanna von der Deken (*1971) ist gebürtige Österreicherin, wohnhaft in Wien, klassische Sängerin, Stimmbildnerin und Dozentin für „Atem, Stimme und Sprechen“ an der Schauspielschule Wien.

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