Coronakrise

Stärkster Wirtschaftseinbruch seit 1945 erschüttert Arbeitsmarkt

APA/ROLAND SCHLAGER
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Arbeitsmarktökonomen sehen Tourismus und Freizeitwirtschaft alsbesonderen Problembereich wegen der Coronakrise. Die Sozialpartner arbeiten an einem Paket für die Wirtschaft.

Die Coronakrise erschüttert den heimischen Arbeitsmarkt und hat die Arbeitslosenzahlen im April auf einen Rekordstand seit dem Zweiten Weltkrieg steigen lassen. "Wir erwarten für 2020 den stärksten Wirtschaftseinbruch seit 1945. Es ist nicht verwunderlich, dass der Arbeitsmarkt derart einbricht", sagte der Arbeitsmarktökonom des Instituts für Höhere Studien, Helmut Hofer, zur APA.

Die schrittweise Aufhebung der behördlich verfügten Betriebsschließungen und wieder vermehrte Stellenbesetzungen sollten die Arbeitslosenzahlen in den nächsten Monaten aber sinken lassen. "Das Problem sehe ich im Tourismus. Ich glaube nicht, dass sich da etwas großartig tut in den nächsten Monaten", sagte IHS-Ökonom Hofer. Die seit Mitte März geschlossenen Hotels und andere Unterkünfte dürfen ab 29. Mai mit Sicherheits- und Hygieneauflagen wieder öffnen. Unklar ist noch, ob Touristen aus dem Ausland - etwa aus Deutschland - im Sommer nach Österreich reisen dürfen. Derzeit sind die Grenzen geschlossen.

Auch für Wifo-Arbeitsmarktökonomen Helmut Mahringer wird sich die heimische Tourismuswirtschaft nur langsam erholen. Es gebe "eine große Unsicherheit über die weitere Entwicklung im Tourismus sowie bei Kultur- und Sportveranstaltungen", sagte Mahringer zur APA. "Es wird keine normale Auslastung im Sommer geben." Der Inlandstourismus könne "nur einen kleinen Beitrag leisten".

Krise noch nicht vorbei

Die Tourismusbranche ist für Österreich von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Der Tourismus trägt rund 8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Zusammen mit der Freizeitwirtschaft ergibt sich ein 15 Prozent Anteil am BIP. Zuletzt gab es im Jahresschnitt 220.000 unselbstständig Beschäftigte im Beherbergungs-und Gaststättenwesen. Die Coronakrise mit den verordneten Schließungen hat die Branche hart getroffen. Per Ende April waren im Bereich Beherbergung und Gastronomie rund 119.000 Personen ohne Job, ein Plus von 130 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.

Die weitere Entwicklung am Arbeitsmarkt hängt stark davon ab, wie sich die Coronavirus-Pandemie entwickelt. "Die Gesundheitskrise ist nicht vorbei", erinnerte IHS-Ökonom Hofer. Auch die Abstandsregeln würden zu einer geringeren Auslastung und dadurch weniger Personalbedarf führen. Weil viele Betriebe geschlossen oder im Home-Office-Modus waren, wurden in den vergangenen eineinhalb Monaten nur wenig Jobs vergeben. Mit der Öffnung - etwa in der Gastronomie, Beherbergung, Bau, Arbeitskräfteüberlassung und dem Verkehrswesen - sollte es mehr offene Stellen und weniger Arbeitslose geben, erwartet Wifo-Ökonom Mahringer.

Beide Ökonomen zogen ein positives Zwischenfazit zur Corona-Kurzarbeit. "Für manche Unternehmen werden die sechs Monate Kurzarbeit vielleicht sogar nicht reichen", so Mahringer. Für Hofer funktioniert Kurzarbeit gut, wenn es um kurzfristige Probleme, nicht Strukturprobleme, gehe. Der IHS-Ökonom verwies darauf, dass es sich bei den Kurzarbeitszahlen um Anträge handle. "Es ist nicht per se fix, dass sie so stark ausgeschöpft wird."

Katzian und Mahrer ziehen an einem Strang

Die Regierungsspitze hat sich am Montag mit den Sozialpartnerspitzen getroffen, um über Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft zu sprechen. Nun sind Arbeitsgruppen der Sozialpartner und einiger Ministerien an der Reihe, die in zwei bis drei Wochen konkrete Maßnahmen erarbeiten sollen. ÖGB-Chef Wolfgang Katzian und WKÖ-Chef Harald Mahrer gaben sich danach zufrieden mit dem Gesprächsauftakt.

Lob gab es nach dem eineinhalbstündigen Gespräch von Katzian für das Gesprächsklima, er habe das Gefühl gehabt, dass die Regierung zuhöre und auch die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen sei in Ordnung. Er sei zuversichtlich, "dass wir gemeinsam etwas zustande bringen können". Angesichts der Arbeitslosenzahlen und der geringen Zahl an offenen Stellen habe es "natürlich oberste Priorität, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen" und mehr Kaufkraft zu sichern. Daher habe er heute die Nettoersatzrate (Arbeitslosengeld im Verhältnis zum letzten Netto-Arbeitslohn) zum Thema gemacht. Er habe den Eindruck, das werde "Teil der Überlegungen sein".

Mahrer hob hervor, dass zwar viele Unternehmen eine Zukunftsperspektive hätten, aber nicht alle. Daher müsse man den Firmen helfen, wo die Perspektive fehle. Da gehe es insbesondere um Tourismus und Gastronomie, die von internationalen Gästen abhängen. Gemeinsam habe man das Ziel, dass die Unternehmen wieder ins volle Geschäft kommen, denn das bedeute auch volle Beschäftigung und vollen Konsum. Überlegungen über mögliche Pleitewellen seien heute noch Spekulation, die Wirtschaftsforscher hätten noch nicht berücksichtigt, wie sich das Verhalten der Konsumenten durch die Coronakrise verändert habe. Daher werde man wohl erst im Juni dazu Genaueres sagen können, so Mahrer.

Man müsse schauen, aus der Kurzarbeit wieder möglichst viele Menschen "in normale Beschäftigung mit normaler Bezahlung" zu bekommen, wie es Katzian formulierte. Deshalb solle das Kurzarbeitsmodell für die neue Situation, die sich bis zum Jahresende ergeben dürfte, "weiterentwickelt" werden, kündigten Mahrer und Katzian an. Dazu werden zunächst die Sozialpartner ein Modell entwickeln und dann mit der Regierung sprechen.

Für Katzian muss es schließlich auch um eine Belohnung für jene Menschen gehen, die sich in der Coronakrise einem besonders hohen Risiko ausgesetzt haben. Daher habe die Gewerkschaft die Regierung eindringlich gebeten, über einen Corona-1.000er nachzudenken.

(APA)

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