Oper

„Der ,Figaro‘ passt perfekt zu Alfred Dorfer“

„Das hat mit dem uralten Staatsopern-,Barbiere‘ nichts zu tun“: Geyer über sein Rossini-Projekt.
„Das hat mit dem uralten Staatsopern-,Barbiere‘ nichts zu tun“: Geyer über sein Rossini-Projekt.Sabine Hauswirth
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Roland Geyer präsentiert am heutigen Dienstag seine vorletzte Saison am Theater an der Wien. Mit der „Presse“ sprach er über die Abgrenzung zu Roščić' Staatsopernprogramm, ein „Tristan-Experiment“ und das Worst-Case-Szenario.

Was bedeutet das Motto „Vor Abendrot“ für die Saison 2020/21?
Roland Geyer: Ich setze meine letzten vier Spielzeiten mit den Tageszeiten in Beziehung, nach „Im Morgengrau“ und „Zu Mittagsblau“ bricht nun der Abend an. Aber es ist kein bloßes Motto, sondern es geht mir dabei wörtlich um die Atmosphäre untergehender Sonne, von der brennenden Glut in Richtung Dunkelheit. Etwas Schlimmeres als der Titelfigur von Leoncavallos „Zazà“ kann einem nicht passieren, nämlich vom Geliebten fallen gelassen werden. Bei „Porgy and Bess“ ist es ähnlich: Bess hat ihn verlassen, wird er sie wiederfinden? Auch „Thais“ oder „Belisario“ kann man vor dem Hintergrund so eines verfehlten, ausbleibenden Happy Ends betrachten.

Zufällig passt das auch auf das ungleiche Paar in Prokofjews „Feurigem Engel“ . . .
Ich musste heuer drei Stücke durch die Coronakrise absagen: den „Feurigen Engel“, Bellinis „Norma“ und in der Kammeroper Glucks „Orphée“. Natürlich will ich retten, was ich retten kann. In der nächsten Saison ersetzen wir deshalb Korngolds geplante „Tote Stadt“ durch den „Feurigen Engel“, weil sich durch eine glückliche Fügung die meisten Mitwirkenden dann leicht wieder zusammenfinden können, von Andrea Breth über Ausrine Stundyte bis hin zu Bo Skovhus und anderen. Die „Tote Stadt“, eine Koproduktion, soll dann in meiner letzten Saison kommen.

Sie wollen sich bei der Stückwahl nicht von der Größe des Hauses und des Orchestergrabens einengen lassen und mussten Bergs „Wozzeck“ und zuletzt Strauss' „Salome“ mit verkleinerten Orchesterbesetzungen spielen. Ist das bei Prokofjew nun wieder so?
Nein, wir spielen die Originalbesetzung. Wir haben kein Platzproblem mit zum Beispiel dreifachem Holz und entsprechenden Streichern, schwierig wird es nur bei viel Schlagzeug, und das ist erst wieder bei Korngold der Fall. Wir haben die Erlaubnis der Erben und des Verlags, in einer Bearbeitung die Bläser zu reduzieren, sodass die Balance gewahrt bleibt. Solche Probleme zu lösen, liebe ich an meinem Job.

Neben den Novitäten gibt es auch Wiederaufnahmen von „Platée“ und „Saul“.
Bei einem Abonnentenvoting vor drei Jahren wurden aus rund 120 Produktionen des Theaters an der Wien diese beiden zu den besten gekürt, zusammen mit „Peter Grimes“, der 2021/22 wiederkehrt. Alle drei zählen auch zu meinen persönlichen Top Ten. Wie Robert Carsen „Platée“ in den Eitelkeiten der Modewelt spielen lässt und Jupiter schließlich als Karl Lagerfeld auftritt, oder was der fantastische Sängerdarsteller Florian Boesch, übrigens als unser Artist in residence auch als Liederinterpret zu erleben, in Claus Guths Regie als Saul geleistet hat: Da ist einfach alles aufgegangen. Aber bei uns sind Wiederaufnahmen eigentlich Neueinstudierungen, obwohl auch die Besetzungen fast komplett wiederkommen. Carsen und William Christie werden vier Wochen proben.

Peter Konwitschny inszeniert „Thais“, Christof Loy „Zazà“ – aber wie kommen daneben auch der Kabarettist Alfred Dorfer und der Sänger Günther Groissböck zu Regie-Ehren?
Als Intendant unterliege ich auch dem Zauberspruch, mir ständig darüber Gedanken zu machen, neben etablierten Regiestars auch Leute zu gewinnen, die vielleicht eine andere Sicht auf das Genre mitbringen und unsere blinden Flecken nicht teilen. In diesem Sinn habe ich auch große Filmregisseure ans Haus geholt, Waltz, Friedkin und Ruzowitzky. Bei Groissböck ist es überhaupt das Regiedebüt, beim in Kabarett, Theater und Film erfahrenen Dorfer, was die Oper betrifft. Mir ist zuletzt bei „Rusalka“ aufgefallen, dass sich der Opernsänger Groissböck immer als Ideenspender eingebracht hat, also habe ich ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, einmal selbst zu inszenieren. Er wollte nicht gleich auf die große Bühne, also wird es die Kammeroper – ausgerechnet mit einer freudianischen Sicht auf „Tristan“, mit 20 Musikern, in knapp drei Stunden mit Pause, eigentlich eine Uraufführung. Mir ist bewusst, dass manche Wagnerianer und Kritiker das für Irrsinn halten werden, aber es gehört zu meinem Konzept, dass immer ein, zwei Projekte weit aus dem Üblichen hinausweisen. Und bei Dorfer finde ich, dass „Le nozze di Figaro“ perfekt zu ihm passt. Ich bin sicher, dass er mit den hervorragenden Singschauspielern eine darstellerisch komödiantische Aufführung erarbeiten wird – weder Kabarett noch Slapstick, aber doch mit seiner speziellen sarkastischen Spitze.

Mozarts „Figaro“ steht auch in der Staatsoper auf dem Spielplan, wie Rossinis „Barbiere di Siviglia“, der an der Kammeroper kommt. Koordinieren Sie Ihre Spielpläne, wie ist das Verhältnis zu Bogdan Roščić?
Wir haben eine gute Gesprächsbasis, uns für diese Saison aber nur bei Premierenterminen im Einzelnen abgesprochen. Die Frage der Abgrenzung wird eher meinen Nachfolger betreffen (Stefan Herheim, Anm.). Roščić will Repertoirestücke erneuern und bringt dafür schon bekannte Inszenierungen nach Wien. Ich hole, mit Ausnahme von John Neumeiers Choreografie von Beethovens Neunter, die im Dezember 2020 in Hamburg Premiere hat, keine Produktionen von außen, sondern wir wollen mit zehn neuen, exklusiven Premieren von uns aus die Musiktheaterkunst vorantreiben. Wer hat je Donizettis „Belisario“ auf der Bühne gesehen? „Thais“ hat man zuletzt höchstens konzertant gehört. Und der „Barbiere“ in der Kammeroper ist Teil einer Trias, die mit Cavalli und Vivaldi drei der bedeutendsten italienischen Opernkomponisten des 17., 18. und 19. Jahrhunderts vereint. Christoph Zauner, der letztes Jahr die Dreistigkeit von Bernsteins „Candide“ offengelegt hat, wird den „Barbiere“ mit ironischer Härte angehen. Das hat mit dem uralten Staatsopern-„Barbiere“ nichts zu tun. Und Mozart gehört allen. Sein „Figaro“ zählt zu jener Handvoll von Stücken, die unbedingt im Theater an der Wien gespielt werden müssen. Ich sehe da keine Konkurrenz.

Zur unvermeidlichen Frage: Haben Sie in Coronazeiten auch einen Plan B?
Wir haben noch vier Monate bis Anfang September, doppelt so viel, wie die Krise derzeit dauert. Nacheinander öffnen nun Shoppingcenter, Restaurants und Freibäder, in U-Bahnen fahren Leute ohne Abstand, Fluglinien verkehren wieder. Wenn die Zahlen der Infizierten dadurch nicht mehr ansteigen, wären weitere Restriktionen für die Theater absurd. Meine wichtigste Botschaft in der Intendantenrunde mit Staatssekretärin Ulrike Lunacek war, neben viel Optimismus: keine vorschnellen Entscheidungen treffen, sondern in den nächsten Wochen aus den Daten lernen und reagieren. Was man dem Profifußball erlaubt, kann man der Kultur nicht verweigern können. Abgeschlossene Camps und begleitende Maßnahmen kann ich im Stagionebetrieb natürlich leichter verwirklichen als an jedem Repertoirehaus. Unsere „Zazà“-Schlussproben beginnen erst Anfang September, daher bin ich optimistisch. Denn das Worst-Case-Szenario einer zweiten Welle mit neuerlichem Lockdown wäre für die Kultur ein mehrjähriger Knockdown.

Das Theater an der Wien hat an Abonnenten einen Brief verschickt, in dem auch um Spenden gebeten wird. Der frühere VBW-Generaldirektor Thomas Drozda hat das kritisiert, wie sehen Sie das?
Das Rundschreiben wurde von VBW-Geschäftsführer Franz Patay initiiert. Ich sehe es als Appell an Treue, Loyalität, Freundschaft von Abonnenten und Publikum. Wer will, bekommt sein Geld für abgesagte Vorstellungen zurück, andere können Gutscheine in Anspruch nehmen oder sogar spenden. Wir haben mit dem Betriebsrat einen Härtefonds eingerichtet, der den Künstlerinnen und Künstlern direkt zugutekommt.

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