Öl

Revolution oder Selbstmord: Tausende russische Ölfördertürme schließen

Russland kürzt seine Ölförderung um ein ganzes Fünftel. Das schafft Probleme, die die Saudis nicht kennen.
Russland kürzt seine Ölförderung um ein ganzes Fünftel. Das schafft Probleme, die die Saudis nicht kennen.(c) BLOOMBERG NEWS (DMITRY BELIAKOV)
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Zum ersten Mal muss Russland die Ölförderung drosseln - und zwar um ein Fünftel. Es könnte passieren, dass sich die Hähne im Unterschied zu den saudischen nie mehr öffnen lassen.

So lässig, wie Russland die Saudis Anfang März hat abblitzen lassen, als diese für gemeinsame Ölförderkürzungen plädiert hatten, um den Preisverfall wegen der wegbrechenden Nachfrage zu stoppen, so radikal fällt nun die Kehrtwende in Moskau aus. Und damit keine Zweifel aufkommen, dass die Russen sich nicht an die Mitte April vereinbarten und beispiellos hohen Produktionskürzungen halten könnten, die ab 1. Mai nun umgesetzt werden müssen, beteuerte Energieminister Alexander Nowak vorige Woche: „Wir werden die Abmachung zu 100 Prozent umsetzen. Alle Unternehmen haben die Verantwortung dafür übernommen.“

Die Verantwortung ist riesig. So wie auch die Förderkürzungen, an denen sich zwei Dutzend Ölländer beteiligen, ein Ausmaß haben, das der Ölmarkt so noch nicht gesehen hat. Um ganze 9,7 Mio. Barrel weniger pro Tag werden alle gemeinsam im Mai und Juni aus der Erde holen – mit allmählicher Lockerung der Beschränkungen bis Mai 2022. Fürs Erste entspricht das etwa einem Zehntel der globalen Förderung pro Tag. Das Novum dabei: Russland, neben Saudiarabien und den USA größter Produzent des „Schwarzen Goldes“, fährt nicht nur zum ersten Mal seit 1998 die Förderung herunter. Russland trägt auch – ähnlich wie die Saudis – den Großteil der vereinbarten Kürzungen. Unterschiedlichen Zahlen zufolge werden die russischen Unternehmen ab sofort zwischen 18 und knapp 23 Prozent weniger aus der Erde holen als gewöhnlich.

Radikaler Umbruch

Das Ereignis ist so epochal, dass Experten um eine adäquate Bezeichnung dafür ringen. Von einer „Revolution in der russischen Ölindustrie“ spricht Michail Krutichin, Partner der Moskauer Beratungsfirma RusEnergy, im Gespräch. Es sei „eher ein Selbstmord“, meint Eugen Weinberg, Leiter der Rohstoffanalyse bei der Commerzbank, auf Anfrage. Jedenfalls sei es ein „erzwungener Strategiewechsel“, so der gemeinsame Nenner vieler.

In der Tat war die Strategie über Jahrzehnte einfach: Öl aus den landesweit 200.000 Förderlöchern pumpen, was das Zeug hält. Nicht zufällig hat sich Russland bis 2016 nie mit der Opec koordiniert, um angebotsseitig den Preis zu treiben. Das sei auch sinnvoll gewesen, so Weinberg, denn in Russland sei wegen der Geologie, der Ölqualität und der – oft alten – Technik eine flexible Förderung wie bei den Saudis nicht machbar. „Um den Produktionskürzungseffekt eines geschlossenen Förderlochs wie in Saudiarabien zu erzielen, müssen sie in Russland bis zu 150 zudrehen“, ergänzt Krutichin.

Die Geologie hat es so gewollt, dass in Saudiarabien die Lagerstätten über einen Druck verfügen, der das Öl nach oben treibt. In Russland hingegen würden nur noch 1,5 Prozent der Förderstätten ohne Pumpe auskommen, so Krutichin. In 85 Prozent der Löcher müsse Wasser als Druckmittel hineingepumpt werden. Manche Lagerstätten bestünden nur noch zu zehn Prozent aus Öl. Eine Stilllegung sei aufgrund der Temperatur und des hohen Paraffingehalts im Öl problematisch, weil sich eine Art von Wachskorken bilde. „Eine Förderanlage zu schließen, ist nicht schwer“, sagt Analyst Weinberg: „Sie aber wieder in Betrieb zu nehmen, kann extrem teuer werden“.

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