Konjunktur

EU-Kommission sagt Europa beispiellose Rezession voraus

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"Europa erlebt einen wirtschaftlichen Schock ohne Präzedenzfall seit der Großen Depression“, sagt EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.

Die EU-Kommission rechnet wegen der Coronakrise in diesem Jahr mit einem beispiellosen Einbruch der Wirtschaft im Euroraum von 7,7 Prozent. Im nächsten Jahr dürfte es dann wieder um 6,3 Prozent bergauf gehen, wie die Brüsseler Behörde am Mittwoch zu ihrer Frühjahrsprognose mitteilte.

"Alle EU-Länder sind betroffen, und es wird erwartet, dass alle Länder in diesem Jahr eine Rezession erleben werden", sagte EU-Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis. Derzeit könnte man das Ausmaß des Abschwungs durch die Folgen des Coronavirus aber nur vorläufig abschätzen.

"Europa erlebt einen wirtschaftlichen Schock, der seit der Großen Depression ohne Beispiel ist", betonte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Die Tiefe der Rezession, aber auch die Erholung dürften ungleich ausfallen. Dies hänge ab vom Tempo der Lockerungen der Kontaktsperren, von der Bedeutung von Dienstleistungen wie Tourismus in jedem Land und von der Finanzkraft der Staaten. "Eine solche Divergenz stellt eine Bedrohung für den Binnenmarkt und die Eurozone dar - dennoch kann sie durch entschlossenes, gemeinsames europäisches Handeln abgemildert werden."

Österreich: minus 5,5 Prozent

Für Österreich erwartet die Kommission einen Absturz des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 5,5 Prozent in diesem Jahr und eine Erholung von 5 Prozent für 2021. In Deutschland soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) heuer um 6,5 Prozent einbrechen und im nächsten Jahr dann um 5,9 Prozent steigen. In Frankreich dürfte es demnach zunächst um 8,2 Prozent nach unten gehen und dann um 7,4 Prozent wieder nach oben.

Die Brüsseler Behörde sagt Italien, das besonders stark von der Pandemie betroffen ist, sogar ein Konjunkturloch von 9,5 Prozent voraus. Im nächsten Jahr werde es dann 6,5 Prozent Wachstum geben. Auch in Spanien sind die Aussichten mit einem Minus von 9,4 Prozent in diesem Jahr düster, bevor das BIP 2021 wieder um sieben Prozent zulegen dürfte.

Im gesamten Euroraum wird der Prognose zufolge die Arbeitslosigkeit spürbar zulegen - auf 9,6 Prozent im Jahresschnitt 2020, nach 7,5 Prozent 2019. Im nächsten Jahr dürfte die Quote dann wieder auf 8,6 Prozent fallen. Die Inflationsrate werde 2020 auf 0,2 Prozent einbrechen und im nächsten Jahr im Schnitt bei 1,1 Prozent liegen. Aber auch dies wäre weiter unter der Marke von knapp zwei Prozent, die die Europäische Zentralbank (EZB) als ideal für die Konjunktur ansieht.

Starker Einbruch in Osteuropa

Auch die Wirtschaft in den 23 Ländern Mittel-, Ost-und Südosteuropas (MOSOEL) rasselt wegen der Coronakrise ordentlich nach unten. Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) hat die Einschätzung bekräftigt, wonach die Auswirkung der Viruskrise größer ist als jene der Krise 2008/09. Demnach bricht das durchschnittliche reale BIP in der Region heuer um 6,1 Prozent ein.

Im Vergleich dazu betrug der Rückgang im Jahr 2009 nur 5,6 Prozent, hieß es am Mittwoch bei einer digitalen Pressekonferenz des Instituts. Die anfängliche wirtschaftliche Erholung wird diesmal in der gesamten Region auch wesentlich schwächer ausfallen. Das WIIW rechnet mit 2,8 Prozent im Jahr 2021, gegenüber 4,4 Prozent im Jahr 2010.

Der Weg zurück zu "normalen" Zinssätzen werde noch länger dauern als vor der Coronakrise gedacht. Auch diese Phase werde länger andauern als nach der Finanzkrise 2008.

Die Einbrüche werden in den Ländern Osteuropas jedenfalls sehr unterschiedlich ausfallen, besagt die neueste WIIW-Prognose. Die größten realen BIP-Rückgänge werden heuer in Kroatien (-11 Prozent), Slowenien (-9,5 Prozent), der Slowakei (-9 Prozent) und Montenegro (-8 Prozent) erwartet. Das zeigt die besonders starke Abhängigkeit dieser Länder vom Außenhandel und/oder dem Tourismus widerspiegelt.

Aber auch bei den beiden größten Volkswirtschaften der Region stehen heuer erhebliche Rezessionen bevor: Das WIIW prognostiziert, dass das reale BIP in der Türkei um 6 Prozent und in Russland um 7 Prozent einbrechen wird.

Die glimpflichsten Wirtschaftsrückgänge werden in jenen Volkswirtschaften erwartet, die weniger von Außenhandel und Tourismus abhängig sind. Das sind etwa das Kosovo (-4,4 Prozent) oder Moldawien (-3 Prozent). Auch jene Länder, die voraussichtlich erhebliche fiskalische Ressourcen einsetzen werden, um den Wirtschaftsabschwung abzufedern, dürften verhältnismäßig weniger hart betroffen sein. Das sind etwa Polen (-4 Prozent), Kasachstan (-3 Prozent) und Serbien (-4 Prozent).

Jene Länder, die in der Lage waren, ihren Coronastillstand schneller aufzuheben, werden ebenfalls besser abschneiden als sonst zu erwarten gewesen wäre. Das betrifft etwa wie die Tschechische Republik (-4,8 Prozent).

Erhebliche Abwärtsrisiken

Die Abwärtsrisiken der WIIW-Wirtschaftsprognose sind erheblich. Insbesondere die Abhängigkeit der Ukraine, Moldawiens und vieler Länder des Westbalkans von großen Kapitalzuflüssen könnte in diesen Ländern zu erheblichen zusätzlichen Belastungen führen. Es wird erwartet, dass Geldtransfers, ausländische Direktinvestitionen und Portfoliozuflüsse heuer stark zurückgehen werden. Hier werden der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Rezession spielen, so das WIIW.

Mittelfristig werde die Krise gewisse Aspekte der Volkswirtschaften Osteuropas grundlegend verändern, aber nicht alle Auswirkungen sollen negativ sein. Etwa sei eine andere Art der Konsumwirtschaft und eine höhere Vorsicht aufseiten der Verbraucher zu erwarten. Es dürfte auch zu Steuererhöhungen kommen, um die Zunahme der Staatsverschuldung zu bremsen.

Zugutekommen werden dem größten Teil Osteuropas Produktionsverlagerungen in osteuropäische Länder. Das gelte auch für die Auslagerung von Dienstleistungen, die zunehmen dürfte.

Die baltischen Staaten, die Tschechische Republik und Slowenien seien am besten in der Lage, um von einem Aufschwung der digitalen Wirtschaft als Folge der Krise zu profitieren.

(APA/Reuters)

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