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Netflix-Serie „The Eddy“: In diesem Jazzclub geht es drunter und drüber

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„The Eddy“ stürzt sich kopfüber in den turbulenten Mikrokosmos eines Pariser Jazzclubs. Inszeniert hat das unter anderem der „La La Land“-Regisseur Damien Chazelle. Ab Freitag auf Netflix.

Wirklich absehbar war er nicht, der Sensationserfolg von „La La Land“. Ein moderat budgetiertes Jazz-Musical über die Liebe zwischen zwei erfolglosen Künstlern klingt auch heute nicht nach Kassengold. Dennoch zeugt der Zuspruch, den Damien Chazelles Sing- und Tanzspiel 2016 erfuhr, von der Beständigkeit totgesagter Genres. Wie der Western kommt auch der Musikfilm immer wieder, erfindet sich neu, entwickelt sich weiter.

Wobei: Das mit der Weiterentwicklung steht zur Debatte. Viele Kritiker warfen „La La Land“ vor, er sei rückwärtsgewandt. Weil der Film in Hollywood-Retrokitsch schwelgte. Und von einem weißen Jazzer handelte, dessen Pochen auf klassisches Stilbewusstsein mit der kommerziellen Kompromissbereitschaft eines schwarzen Kollegen kontrastiert wurde. Rassistischer Revisionismus? Wohl kaum – eher unbedachte Taktlosigkeit. Dennoch: Das Schandmal haftete, Backlash folgte auf Begeisterung. Da half auch der Verweis auf Chazelles Kleinbudgetdebüt „Guy and Madeline on a Park Bench“ nichts, das sich um einen schwarzen Trompeter aus Boston drehte. Bei der Viennale 2009 zählte der Rohdiamant zu den persönlichen Empfehlungen von Direktor Hans Hurch. Jenseits von Festivalkreisen blieb er aber unbekannt.

Kreiselnde Kamera, schummriges Licht

Vielleicht ist Chazelles neue Serie „The Eddy“ (ab Freitag auf Netflix) ein impliziter Rehabilitationsversuch. Wieder geht es um Jazz, doch mit konträrer Klangfarbe. Paris statt Los Angeles. Ensemble statt Duett. Liveaufnahmen statt Orchestersoundtrack. Back to the Roots! Im Mittelpunkt der titelgebende Undergroundschuppen, geschmissen von Geschäftsführer Farid und Bandleader Elliot. (Letzteren spielt André Holland, der mit „Moonlight“ bekannt wurde – das Sozialdrama um einen schwarzen Teenager schnappte „La La Land“ den Oscar weg.)

Ohne Umschweife stürzt sich die Show in den Mikrokosmos eines wuselnden Musikmilieus. Elliot will Kunst und Anerkennung. Doch die Hausband bockt. Auch weil die Sängerin sauer ist. Denn die Trennung vom Chef ist noch frisch. Indes kriselt der Laden. Farid will ihn retten. Und steht mit einem Fuß im Kriminal. Wovon seine Familie nichts weiß. Da kommt Elliots Tochter aus New York, mit schwerem Trauma im Gepäck. Vielleicht kann der junge Club-Kellner helfen?

Kurzum: Es geht drunter und drüber. La vie de Bebop-Bohème! Die Verwerfungen des Lebens treiben auf der Bühne betörende Blüten, allen Widrigkeiten zum Trotz. Ein Klischee, klar. Aber überzeugend umgesetzt. Auch weil die Ästhetik stimmt. Kreiselnde Handkamera, schummriges Gegenlicht, enthemmtes Spiel: John Cassavetes lässt grüßen. Und die Musik kann sich hören lassen. Die Idee zur Sendung stammt vom Songwriter und Produzenten Glen Ballard, der auch die Songs komponierte. Dargeboten werden sie von Profis wie Randy Kerber und Lada Obradović. Ein eklektischer Mix diverser Jazz-Spielarten, ohne Berührungsängste mit anderen Genres. Das Auf und Ab des Geschehens spiegelt sich in der wechselnden Stimmung der Stücke.

Wobei die zerspragelte Handlung konzentrisch verläuft. Jede Episode widmet sich einer neuen Figur, einem anderen Satelliten im Orbit des „Eddy“-Strudels. Der Fokus dieser melancholischen Seifenoper liegt auf der Dynamik der Charaktere. Plot-Zores rund um die mögliche Schließung des Clubs bleiben im Hintergrund. Ein dezidiert europäischer Erzählstil, passend zum Pariser Schauplatz. Dem entspricht auch die Sprachenvielfalt der internationalen Koproduktion: Englisch, Französisch, Arabisch, Polnisch. Und die Besetzung kontinentaler Arthouse-Stars wie Tahar Rahim oder Leïla Bekhti.

Vier Regisseure für acht Folgen

Sogar die Inszenierung folgt dem Schmelztiegel-Modell, einzige Konstante hinter den Kulissen ist der britische Drehbuchautor Jack Thorne. Auf acht etwa einstündige Folgen kommen vier Regiehandschriften. An sich nichts Ungewöhnliches. Doch im Vergleich zu den meisten Serienformaten merkt man hier den Unterschied. Zunächst prescht Chazelle mit rastloser Energie vor. Der formal beflissene Drall wirkt fast schon aufdringlich. Dann übernimmt die Französin Houda Benyamina das Ruder, und es kehrt etwas Ruhe ein. Körnige 16mm-Bilder (Kamera: Éric Gautier) weichen digitaler Gleichmäßigkeit. Und die Perspektive verschiebt sich, statt um pulsierende Ambitionen geht es um Trauerarbeit im multiethnischen Umfeld: Islamische Bestattung trifft auf Jazz-Begräbnis.

Mit loser Struktur und kaleidoskopischem Zugang eignet sich „The Eddy“ nicht wirklich zum spannungsgetriebenen Sucht-Sichten. Doch aus dem Gros zeitgenössischer Serienfabrikation sticht seine Eigenart positiv hervor; mal schwermütig schwingend, mal freudig erregt zieht sie in eine turbulente, zigarettenrauchgetränkte Welt. Und weckt Sehnsucht nach der Zeit, in der die Jazzclubs ihre Pforten wieder öffnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2020)

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