Solange die wissenschaftliche Basis fehlt, kann man keine Immunitätsausweise ausstellen. Darüber reden kann man aber schon.
Die Idee leuchtet ein. Wer schon eine Covid-Infektion durchgemacht hat, soll es bei der Rückkehr in den Alltag leichter haben. Und warum auch nicht? Denn nutzt es dem Rest, wenn einer, der mehr machen könnte als die anderen, darauf verzichtet, damit es nur ja keinen Unterschied gibt?
Spielen wir ein paar Beispiele durch: Soll jemand, der immun ist, im Krankenhaus in heiklen Bereichen eingesetzt werden? Würde man nicht verneinen. Soll so jemand das Recht haben, wieder zu reisen, in den Urlaub zu fliegen? Ok, da regt sich etwas der Neid. Sollen immune Kinder Vorrechte gegenüber ihren Alterskollegen genießen – im Unterricht, im Sport? Spätestens hier werden einige Eltern unruhig werden.
Der kurze Abriss zeigt, dass es bei der Frage zum Immunitätsnachweis wesentlich darum geht, wofür er konkret eingesetzt wird. Der Grat zwischen gerechtfertigter Ungleichbehandlung und Diskriminierung ist ein schmaler.
Das gilt auch für den Grat zwischen Fiktion und bewiesenen Fakten: Denn derzeit ist Debatte über den Immunitätsausweis eine hypothetische, denn sie entbehrt der wissenschaftlichen Basis. Solange man nicht weiß, welchen Schutz eine durchgemache Covid-Erkrankung verleiht, wie lange dieser hält und wie man Immunität verlässlich nachweist, kann man zwar über solche Ausweise reden. Aber ausstellen kann man sie sicher nicht.
Darüber zu reden ist aber nicht falsch. Denn auch wenn der deutsche Gesundheitsminister mit seinem fixfertigen Gesetzesvorschlag für einen Immunitätsausweis vorschnell war, hat er zumindest dafür gesorgt, dass öffentlich wichtige Fragen gestellt wurden. Zum Beispiel diese: Wie groß wäre eigentlich die Gefahr, dass Menschen sich absichtlich anstecken, nur um an solchen Ausweis zu bekommen? Wie groß wäre der Druck, das zu tun, wenn etwa die berufliche Existenz vom Immunstatus abhängt? Die Antwort darauf ist keine Lappalie, denn ein solcher falscher Anreiz wäre fatal. Denn eine Ansteckung ist eben nicht mit einer Impfung zu vergleichen. Keiner weiß vorab genau, wie schlimm ihn die Krankheit erwischt. Und jede Ansteckung kann andere gefährden.
In Österreich wird über all das freilich weniger debattiert, mehr spekuliert. Das hat mit einer Unsitte zu tun, die in der Corona-Krise schon bei dem Thema App aufgefallen ist. Statt eine klare Meinung zu äußern, lässt man insbesondere im türkisen Universum Einzelpersonen verbale Testballons starten (die Kanzler-Beraterin, den Wirtschaftskammerpräsidenten, den Parlamentspräsidenten). Kommt eine Idee nicht gut an, rudert der/die Betreffende zurück und offiziell hat die Partei nie etwas gesagt. In diesem Klima der Ungewissheiten gedeihen diverse Befürchtungen wunderbar, dem sachlichen Diskurs bekommt sie eher nicht.
Es kann ja durchaus sein, dass die Tagespolitik momentan Wichtigeres zu tun hat, als sich mit Was-wäre-wenn-Szenarien und Grundsatzfragen zu beschäftigen. Aber es gibt Menschen, die sich auf derlei gut verstehen. In Deutschland wurde das Thema zu Recht dem Ethikrat zugewiesen. In Österreich gibt es mit der Bioethikkommission eine ähnliche Einrichtung, die genau auf solche Fragen spezialisiert ist. Vielleicht sollte die Politik sie ihr einfach einmal stellen.
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